Jürgen Raap – Bejahung des Diesseits

Rembrandt Harmensz. van Rijn. – Suzanna en de ouderlingen

»Die Lust zu leben, von der Hutten sprach, scheint die Maler noch nicht gepackt zu haben (…) Auf etlichen Flugblattdrucken sah ich zwar den groben Spaß, doch wenn ich mich erinnern wollte, auf wie vielen Holzbildtafeln des Säkulums Humor erkennbar ist, so brauchte ich nicht einmal die fünf Finger einer Hand. An den guten Joseph, den Zimmermann, hat sich der Spaß zuweilen herangewagt. Ein Maler hatte ihn auf der Seitentafel seines Altars als Mausefallentischler dargestellt. Ein anderer zeigte ihn, wie er an einem Feuer die Windel des Kindes trocknete, wobei er sich verstohlen umsah, ob auch keiner sein Tun beobachtete. Nur bei Hieronymus Bosch scheint des öfteren ein grimmiger Humor im Spiele zu sein. Aber so ganz sicher ist das wohl nicht, weil jeder, der die phantastischen Bilder deuten will, rasch in die Irre geht.«
Gerhard W. Menzel, „Pieter der Drollige Roman um Brueghel, den Bauernmaler, Leipzig 1969, S. 249

Rembrandt Harmensz van Rijn (1606 1669) hat in allen Schaffensphasen immer wieder Selbstportraits gemalt, die ihn meistens lachend, lächelnd oder grinsend darstellen. Das bekannteste Werk ist wohl jenes, das ihn zusammen mit seiner jungen Gattin in unbekümmerter Fröhlichkeit bei einem intimen Gelage zeigt; der Maler prostet mit einem Pokal dem Betrachter zu, seine Mimik läßt auf lauthalses, gar dröhnendes Lachen schließen. Die Lust an einer quasi karnevalesken Verkleidung spiegelt sich in den kostbaren Kostümen der beiden Abgebildeten wider; Samt, Brokat, Glitzern und Funkeln verdeutlichen eine Neigung zu barocker Lebenslust, obwohl wir annehmen dürfen, daß derlei festliche Überschwenglichkeit bei den seinerzeitigen Angehörigen der Malerzünfte keine durchgängige Alltagsrealität war.

Man mag diesen rein äußerlichen Staffagemomenten einen projizierenden Charakter unterstellen im Sinne des Entwurfs einer Idealsituation mit einem gewissen Maß an Koketterie, aber sie ergänzen nicht nur das Mimische und Gestische in der Anlage der Figuren, sondern sind Beitrag zu einer Skizzierung grundsätzlicher Gemütsverfassung bzw. seelischer Befindlichkeit. Diese bestimmt den geistigen „Blickwinkel“ des Malers, seine „Sicht der Dinge“, so sehr, daß wir bei Rembrandt selbst bei der Behandlung biblischer Themen ein, wenn auch verhaltenes und hintergründiges, gleichwohl nicht zu übersehendes Mitschwingen weltzugewandten Humors spüren können, wenn etwa die „Susanna im Bade“ von zwei lüsternen Greisen beobachtet wird. In der altniederländischen Genremalerei hatte auch die Untergattung der „bordeltjes“ niemals nur die Funktion eines objektiv dargebotenen Sittenbildes oder jene einer Erfüllung der Nachfrage zur Befriedigung voyeuristischer Bedürfnisse, sondern sie war vor allem Reflexion des „Allzumenschlichen“. Kunst hat gerade im Genrebild mit Vertrautheit und Vertraulichkeit zu tun, sie bestätigt bestimmte allgemeine Erfahrungen und klärt sie; sie klärt auch auf, aber nicht in einem propagandistischen oder gar diffamierenden Sinne; sie bekennt sich hierbei zu der Tatsache, daß in den alltäglichen Verstrickungen eben der Geist willig, das Fleisch jedoch schwach ist. Kants „kategorischer Imperativ“ hingegen fordert das Gegenteil, sein ethischer Anspruch ist ein anderer; in seiner Bekenntnishaftigkeit ist er grundsätzlich nicht affirmativ.

Sofern uns Rembrandts biographische Umstände bekannt sind, wissen wir, daß das Schicksal es mit ihm nicht immer gut gemeint hat. Sein Selbstbildnis im Alter (um 1668, Wallraf Richartz Museum, Köln) bilanziert die Summe seines Lebens mit beruflichen Rückschlägen und Mißerfolgen in einem Lachen, in das sich auch ein Hauch Verbitterung zu mischen scheint, zugleich Abgeklärtheit und Trotz. Links oben ist nur noch sehr undeutlich eine Statue zu erkennen, die in der älteren kunsthistorischen Literatur als antike Büste interpretiert wird. „Der gemalten Gestalt hat Rembrandt sich wahrscheinlich nicht nur bildlich, sondern auch im übertragenen Sinne gegenübergestellt. Der Amsterdamer Katalog von 1932 (d.h. Schmidt-Degener) mutmaßte, Rembrandt habe sich als lachenden Demokrit dargestellt, und die gemalte Figur bedeute den ernsten Heraklit.“ (1) Zum Topos der „Maske des lachenden Philosophen“ heißt es weiter:Rembrandt habe damit ausdrücken wollen, indem er sich zum Betrachter wendete: Heraklit ist meine eigene Schöpfung und von geringem Rang. Er steht für meine Niederlagen und Fehler, kann aber hinweggelacht werden.“ (2)

Ausgehend von Demokritos unternahm auch der Privatgelehrte Karl-Julius Weber (1767 -1 832) im 19. Jahrhundert eine theoretische Beschreibung des Humors, die mit der Feststellung „Humor sitzt recht eigentlich im Gemüte, Witz im kalten Verstande“ (3) Heinrich Lützelers Behauptung vorwegnimmt, daß „Witz und Humor anthropologisch verschieden“ seien (4). Das deutsche Wort „Witz“ hängt etymologisch mit dem lateinischen „spiritus“ und dem französischen „esprit“ = Geist zusammen, während Humor in der Römersprache Lebenssaft meint und eine phonetische Nähe zu „humus= der Boden hat, mithin auch Bodenständigkeit beschreibt. Der Geist indessen hat die Tendenz zum Erhabenen, er löst sich aus den Bindungen an den „Naturgrund“. Für Lützeler wurzelt denn auch der Humor „in der irrationalen, alogischen Tiefe“, in den vital seelischen Strömungen des Unbewußten. (5) Anders als Lützeler konnte sich Karl-Julius Weber noch nicht auf die psychoanalytischen Aspekte beziehen, die Freund und Jung aus den Phänomenen des Witzes und des Humors herausfilterten; wo Weber auf das Unkalkulierte und Unkalkulierbare, Schicksalhafte und Untergründige, auf das Unbestimmbare und eine logisch Systematik Durchbrechende stößt, verwendet er den Begriff „Willkür“: Wo Phantasie und Urteilskraft sich berühren, entsteht Witz, wo sich Vernunft und Willkür paaren, Humor und das Willkürliche macht eigentlich das Pikante des Humors.“ (6)

Der tiefere Sinn

Sigmar Polke -Höhere Wesen befahlen rechte Ecke schwarz malen (foto Kaleighsha.wordpres.com)

Sigmar Polke – Höhere Wesen befahlen rechte Ecke schwarz malen (foto Kaleighsha.wordpres.com)

Mit der Tatsache, daß Kunst oft auf reinen Willkürakten beruht, spielte Sigmar Polke, als er vorgab, eines seiner Bilder sei „auf Befehl höherer Wesen“ gemalt worden. Doch jenseits der vordergründigen Schalkhaftigkeit erweisen sich Humor und Ironie als tiefenstrukturelle Phänomene im Einzel- wie im Gesamtwerk. Klaus Honnef bemerkte dazu: „Seine seelische und geistige Verfassung stempeln Sigmar Polke zu einem ungeheuer aktuellen Künstler, dem seismographischen Medium einer Zeit prinzipieller Umwälzungen auf allen Gebieten des menschlichen Daseins, apokalyptischen Zukunftsaussichten konfrontiert und ohne durchschlagendes Konzept, diese noch abzuwenden. Wo nichts mehr zu helfen scheint, hilft vielleicht Beten oder das höllische Gelächter, welches Polkes Kunst grundiert und seine Rede häufig unterbricht (…)“ (7) Bei einer weitergehenden Analyse dieser Tiefenstruktur bemerkt man dann zwangsläufig, daß Polkes Bilder „nicht lustig, nicht juxig, noch vordergründig witzig beabsichtigt waren. Man spürt mit einem Mal die versteckte Wut, die in sie eingeflossen ist, die latente Verzweiflung, die sich hinter den vermeintlichen Bildscherzen verborgen hat. Polkes Lachen besaß stets jene frevelhaften Züge, mit denen sich das Heilige in unseren Augen kaschiert, das orgiastische Moment, in dem sich der grundsätzliche Bruch zwischen Mensch und Natur aufhebt. (8) Wo somit das Lachen befreiend und bewältigend wirkt, ist es niemals von anderen Regungen abgekoppelt; anders als im Cartoon ist der Witz im künstlerischen Bild bei Polke oder Duchow, in der Fotosequenz bei Klauke, Blume oder Fischli|Weiss, in den Collagen von Klaus Staeck, den Texttafeln von Ben Vautier usw. nie Selbstzweck, sondern Teilaspekt, weniger Manifest denn bloßes Transportmittel der Aussage: Humoriges steht immer neben anderen Absichten der Kritik, der Provokation, der Irritation, der Entlarvung, hat somit einen, aber nicht den einzigen Stellenwert innerhalb einer Kongruenz von Formen und Inhalten.

Ist also das einzelne Kunstwerk nicht ausschließlich unter dem Aspekt des Humors zu betrachten, so gilt des weiteren, daß kaum ein Künstler in allen Werkphasen Mittel des Witzes oder der Ironie gleichmäßig oder durchgängig einsetzt. So glauben wir in jüngeren Arbeiten Polkes eher Magisches und Alchimistisches zu erkennen. Theo Lambertin hat in Arbeiten um 1990 die Farbpalette und den Einsatz bestimmter Materialien minimalisiert und dabei die valentinesken Dialektzitate und Wortspiele in teils üppigen, teils lakonischen Textbeifügungen ebenfalls etwas zurückgedrängt, Blalla W. Hallmann hat seinen „Humor Dienst“ inzwischen mehr und mehr in Galligkeiten und einer aggressiven Bildsprache münden lassen, die stärker als zuvor in eine politische Stoßrichtung zielt.

Es wäre allerdings müßig, wollte man die proto surrealistischen Motivkombinationen bei Heinz Zolper, das Spiel mit Vexierbildern und optischen Täuschungen bei Rob Scholte oder das medienkritisch konzeptuelle Vorgehen von Volker Hildebrandt in die seitens der Literatur und Theaterwissenschaft definierten unterschiedlichen Kategorien des Humors, der Ironie, Komik, Satire und Paradoxie zerlegen: Solch ein „Schubladendenken“ würde einerseits der philosophischen Dimension der künstlerischen Grundhaltung nicht gerecht, andererseits vermischen sich diese Kategorien im Werk oft auch sehr deutlich.

Stichwort »Laune«

Allerdings ist der kategorielle Unterschied zwischen Humor und Ironie auch ein strategischer: Die Laune hat tausend krumme Wege, die Ironie nur einen geraden, meinte Karl-Julius Weber. (9) Die Übersetzung des Wortes Humor durch „Laune“ verdanken wir Lessing, wenn dieser auch später an anderer Stelle darauf hinwies, jene beiden Begriffe seien nicht unbedingt identisch. Weber sah darin freilich einen Anlaß, mentalitätsspezifische Differenzierungen vorzunehmen: Humor und Laune vereinen sich, indem sie eine sonderbare, unerwartete, idealische Verwandtschaft darstellen; Witz ist ihr innigster Freund, und so auch die Satire; Humor schwebt zwischen Satyr und Komiker in der Mitte, nur daß der Humor höchstens eine Samtbürste führt, wo der Satyr mit Kratzbürsten wund und blutig reibt. Humor geht aus Gemütlichkeit und Herzensfülle hervor, und daher ist er mehr Eigentum nördlicher Völker als südlicher; auch die Griechen und Römer kannten solchen eigentlich nicht, und er scheint stark verflochten zu sein mit der Meteorologie eines nordischen Himmels (…) wie am besten die Praxis der Briten lehrt.“ (10) Eine solche Aussage ist typisch für die Sicht des 19. Jahrhunderts, sie hat sich später in Klischeevorstellungen erschöpft, die einem regional gebundenen Humor heute größtenteils nur noch Entfaltungsmöglichkeiten innerhalb biederer Folklore lassen, wenn auch Lützeler meint, wo Humor in Dichtung und Kunst oder in mündlich überlieferten Anekdoten dokumentiert werde, erhebe das Volk seine Stimme in der Geschichte, sei dies „Kunde vom wirklichen Leben wirklicher Menschen.“ (11)

HinWendung zur Welt

In der bildenden Kunst hatten bereits im Spätmittelalter die Maler ihre Darstellung biblischer Szenen in landschaftliche Kulissen verlegt, die ihrer eigenen unmittelbaren Lebensumgebung glichen. In Bildern von Hans Memling oder Geertgen tot Sint Jans wirkt das neutestamentarische Jerusalem oft wie eine zeitgenössische flämische Hansestadt. Eine solche für das 15. Jahrhundert neuartige malerische Bearbeitung religiöser Motive hat den Boden vorbereitet für eine sich daran anschließende verstärkte Hinwendung zum Profanen, zu einer Genre und Interieur Malerei mit Marktszenen und der Wiedergabe von Bauernstuben und Wirtshäusern, in denen auch die komischen Aspekte des Alltags eingefangen werden:

Wenn Hieronymus Bosch seinen „Taschenspieler“ in eine Szene einbettet, in der die Darbietung eines Gauklertricks lediglich dazu dient, die Aufmerksamkeit vom Komplizen abzulenken, der im Publikum als Beutelschneider fungiert und einem Zuschauer heimlich den Geldsack vom Gürtel abtrennt, so verweist Bosch damit auf die Widrigkeiten des Lebens; das Bild ist belehrend und komisch zugleich, die pädagogische Absicht eingebunden in das Kalkül, bei den zeitgenössischen Betrachtern gleichzeitig auch schadenfrohes Schmunzeln auszulösen. Mit einem Seufzer umfaßt der Humorist die Welt, und mit einem Lächeln verwischt er eigenes Unglück und fremdes; die kleinsten Dinge sind in seinem Munde groß, und das Große spricht er nie aus, ohne auf das Winzige seitwärts zu lächeln (…)“ (Karl-Julius Weber). (12)

Allegorischen Darstellungen menschlicher Schwächen und Unzulänglichkeiten, gar Torheiten, begegnen wir auch bei Pieter Brueghel der Ältere, wenn sich die Lahmen auf ihrem beschwerlichen Weg ausgerechnet von einem Blinden leiten lassen. Der Humor in solchen Bildern ist untrennbar mit der Erkenntnis verbunden, daß der Mensch eben nicht göttlich und unfehlbar ist, sondern verstrickt in jene Verhaltensmuster, die von einem sublimistischen zivilisatorischen Standpunkt aus auch als „niedere Begierden“ bezeichnet werden. Zudem ist der Mensch auch immer wieder Opfer von Mißlingen und Tölpeleien, teils durch eigene Schuld, teils durch Ohnmacht gegenüber dem Zufälligen und Unerwarteten.

Nicht Willens Bestimmt

Bosch wie Brueghel entwickelten ihr Welt und Menschenbild in einer Epoche, die wir geistes  und sozialgeschichtlich als eine Zeit des Umbruchs deuten können und die uns Vergleiche anbietet zu einer heutigen Situation, in der seit etwa 1960, seit „Nouveau Réalisme“, Happening, Fluxus und Neo Dada, Elemente des Komischen häufiger zu finden sind als in den voraufgegangenen Stilbewegungen der Klassischen Moderne. Auch jene Sichtweise der italienischen Manieristen um Pontormo und Arcimboldo, die als Stilwiederaufnahme in späteren kunstgeschichtlichen Epochen immer wieder eine Fortschreibung erfahren hat, steht weltanschaulich konträr zu jenen philosophischen Konzepten, die seit dem Rationalismus der Aufklärung im Verstandesbesitz eine Potentialität zur Freiheit sahen wie Kant und Nietzsche, der den Menschen als „nicht festgestelltes Tier“ beschrieb. Daraus wird zwar anthropologisch die Fähigkeit zu lachen als typisch menschliche Eigenschaft abgeleitet, die dem Tier fremd sei (wenn wir glauben, unser Hund lache uns an, bilden wir uns das nur ein). Aber dieses Lachen dient höchstens der bloßen Zerstreuung. Denn eigentümlicherweise richtet die philosophische Anthropologie bei Max Scheler und Arnold Gehlen ihr Augenmerk auf die „Weltoffenheit“ mittels Verstandesbesitzes ausschließlich auf die Kompensation von instinktiven und anderen Mängeln: Als „unspezialisiertes Mängelwesen“ sei der Mensch nicht in einen „Gestaltkreis“ eingebunden wie das Tier (Scheler), und deshalb suche er nach „Entlastung“ gegenüber dem „Umweltdruck“ (Gehlen). (13) Hierzu schafft sich der Mensch „Institutionen“, „in denen sich unsere individuellen Bedürfnisse mit den allgemeinen, sachlichen Notwendigkeiten verschränken, die das Dasein der Gesellschaft entwickelt“. (14) Heinrich Lützeler stellte fest, daß das Wort „Lachen“ bei Gehlen „nicht vorkommen (kann), weil diese Philosophie rein willensbestimmt ist“. (15) Der Humor sei insofern para existentiell, indem er sich dem Druck der Institutionen entzieht.

Daher ist der Humor auch immer antinormativ, wenn etwa Achim Duchow einem Bild mit „Dritte Welt“ Motiven den provokativen Titel „Möchtest du nochmal arm sein?“ zufügt oder Charly Banana den Kunsthandel als Sommerschlußverkaufsszenario karikiert, Ralph Bageritz eine Pralinenpackung Ästhetik bejubelt und C.O. Paeffgen Fotoportraits auf ein Strichmännchen Vokabular zurückführt. Vielfach konterkarieren auch die Bildtitel das bildlich Dargestellte.

Zum bildnerischen Humor gehört bisweilen auch ein gewisses Maß an Derbheit, und diese hatte sich in der Kunstgeschichte schon längst manifestiert, bevor „Dadamax“ Ernst 1921 sein Publikum mit der Umdichtung eines Kinderreimes schockte: „Der Elephant von Celebes hat hinten etwas Gelebes, der Elephant von Borneo, der macht es nur von vorneo (…)“ (16)

Hendrick Averkamp - Winter landschap (foto Wallraf-Richartz Museum, Köln)

Hendrick Averkamp – Winter landschap (foto Wallraf-Richartz Museum, Köln)

In Hendrick Averkamps „Winterlandschaft“ (um 1600 1605, Wallraf Richartz Museum, Köln) enthält die Schilderung einer Eisbelustigung auf dem zugefrorenen Graben eines Wasserschlosses eine deftige Nuance, indem nämlich am linken unteren Bildrand jemand unter einem Baum seine Notdurft verrichtet. Für Averkamps Zeitgenossen sicherlich ein völlig natürlicher und selbstverständlicher Vorgang, der auch nicht Gegenstand eines Witzes ist, wie man ihn in späteren Epochen mit Anspielungen auf den fäkalen oder den sexuellen Bereich konstruiert haben würde: Die Pointe eines Witzes beruht auf sprachlicher Zweideutigkeit, sie läßt den Zuhörer das Unausgesprochene zu Ende denken; der Humor hingegen ist immer eindeutig und direkt.

Nebensächlichkeit und Totalität

Wo Religion und „ernste“ Kunst einer mystischen Entrückung von der Welt und abstrakten Erklärungsmodellen über diese Welt folgen, setzt der bildnerische Humor (wie der Humor überhaupt) dieser Tendenz die Hinwendung zu jenem Alltäglichen entgegen, was das Wesentliche unserer Existenz ausmacht, wenn Normen, Werte und Konventionen erschüttert werden, wir ganz auf uns selbst gestellt sind und keine gesellschaftliche oder im Gehlenschen Sinne institutionelle Klammer uns Halt bietet. In Averkamps Bild ist gerade dieser Mann mit heruntergelassener Hose Garant für die Authentizität des Gezeigten, für jeden Betrachter nachvollziehbar und auf die eigene Lebenserfahrung projizierbar (im Unterschied zur Paradoxie, s.u.). Wenn damit Nebensächlichkeiten verhandelt werden, bedeutet dies dennoch eine perspektivische Totalität, aus der erst „die humoristische Milde und Duldung gegen das Einzelne {hervorgehen}, das sich in der Masse verliert und weniger bedeutet, auch den Humoristen vom Spötter unterscheidet“. (17)

Größere emotionale Distanz lassen indessen jene Bilder ahnen, in denen Mittel des Paradoxen eingesetzt werden; sie haben illusionistischen Charakter, bilden nicht „Welt“ ab, sondern konstruieren Schein Welten. Ein „echtes“ Paradoxon sei erst dann vorhanden, meinen Patrick Hughes und George Brecht, wenn es alle drei Merkmale der Selbstbezogenheit, Widersprüchlichkeit und Zirkelhaftigkeit enthalte. (18) Dazu finden wir zuhauf Beispiele bei René Magritte oder in der Grafik von M.C. Escher, bei Jasper Johns, wenn die Worte „red“,“blue“, „yellow“ in jeweils einer anderen Farbe erscheinen, oder in Meret Oppenheims Pelztasse, wo „die Weichheit des Fells und ihr Widerspruch zur erwarteten Härte des Porzellans verblüfft“. (19) Die philosophische Sicht in der künstlerischen Paradoxie ist in der Regel keine primär ontologische oder erkenntnistheoretische, sondern eine solche, die sich an aussagenlogischen Umkehrschlüssen festmacht und an wahrnehmungsphysiologischen wie psychologischen Fragestellungen. Der Witz, der in dieser Paradoxie enthalten ist, bestätigt uns allerdings in der Meinung, daß die gezeigten Dinge in Wahrheit nicht so sind, wie wir sie sehen: Im Weiterdenken dieses Bildwitzes wird die Welt wieder „gerade gerückt,“ die Norm wieder hergestellt.

ANMERKUNGEN
(1) Horst Vey, Annamaria Kesting, „Katalog der niederländischen Gemälde von 1550 bis 1800 im Wallraf Richartz Museum und im öffentlichen Besitz der Stadt Köln“, Köln 1967, S. 90
(2) Ebenda, S. 9091
(3) Karl-Julius Weber „Demokritos oder hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen“,
(4) Heinrich Lützeler, „Philosophie des Kölner Humors“, Bad Honnef 1954, S. 7
(5) Lützeler, ebenda, S. 10
(6) Weber, ebenda, S. 16
(7) Klaus Honnef „Malerei als Abenteuer oder Kunst und Leben“, in: „Kunstforum“, Band 71, 72, Köln 1984, S. 136
(8) Honnef, ebenda, S. 136
(9 )Weber, ebenda, S. 16
(10) Weber, ebenda. S. 16 – 17
(11) Heinrich Lützeler, „Kölner Humor in der Geschichte“, Bad Honnef am Rhein 1960, S. 12 – 13
(12) Weber, ebenda, S. 17
(13) Arnold Gehlen, „Der Mensch“, 9. Auflage, Frankfurt am Main 1974, S. 62 ff.
(14) Gehlen, ebenda S. 165
(15) H. Lützeler, „Philosophie des Kölner Humors“, S. 13
(16) S. hierzu Uwe M. Schneede, „Max Ernst“, Stuttgart, 1972, S. 50 52
(17) Weber, ebenda, S. 19
(18) Patrick Hughes, George Brecht, „Die Scheinwelt des Paradoxons“, eine kommentierte Anthologie in Wort und Bild, Braunschweig 1978, S. 1 ff.
(19) Hughes | Brecht, ebenda, S. 36

KUNSTFORUM International, Bd. 120, Kunst und Humor I, 1992

https://www.kunstforum.de/artikel/bejahung-des-diesseits/

Meer informatie
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