Angela Graf – Miese Tricks und böse Buben

Steen T. Kittl, Christian Saehrendt: Geier am Grabe van Goghs: und andere hässliche Geschichten aus der Welt der schönen Künste. – Köln: DuMont, 2010. – 303 S.: Ill. – ISBN 978-3-8321-9093-4 *kt.: 14,95 EUR.

Die Autoren Steen T. Kittl und Christian Saehrendt haben ein neues Buch mit einer etwas anderen Einführung in die Kunst vorgelegt (1). Der Klappentext verspricht ähnlich wie bei Elizabeth Lunday (2) „grausame Schicksale, verbrecherische Machenschaften und zerstörerische Attacken, Pornographie und Blasphemie, Denunziation und Opportunismus, Mord und Totschlag“.
Im Unterschied allerdings zum eher belanglosen Werk von Lunday schreiben diese Autoren kenntnis- und faktenreich, informativ und amüsant. War noch „Das kann ich auch!“ eine zuförderst komische Parodie auf den Kunstbetrieb, so näherte sich „Das sagt mir was!“ schon mehr der Information an, mit spitzen Entlarvungen gängiger Klischees. Hier jedoch legen Steen T. Kittl und Christian Saehrendt ihren Schwerpunkt endgültig auf die Wissensvermittlung. Nicht aber ohne ihr Markenzeichen, den überraschenden Sprachwitz.
Den Auftakt bildet das Kapitel „Kaufen Sie nie ein Original, dessen Kopie im Louvre hängt!“ Darin geht es im weitesten Sinne um Kunstfälschungen. Hier kommt auch der titelgebende Fall des halbtoten Vincent van Gogh zur Sprache. Sein ihn nach dem Bauchschuss behandelnder Arzt in Auvers-sur-Oise, Dr. Gachet, war zwar kunstbegeistert, wird aber als Kurpfuscher entlarvt. Der Künstler hätte vielleicht sogar überleben können, wenn ein kompetenter Mediziner zur Stelle gewesen wäre. Für Gachet – der „Geier am Grabe van Goghs“ – erwies sich seine Unfähigkeit als höchst lukrativ, er bediente sich schamlos an den um van Goghs Sarg ausgestellten Gemälden und betrieb mit seinem Sohn später sogar eine van-Gogh-Fälscherwerkstatt (S. 13–18). Dabei waren sie nicht die Einzigen, die sich auf diesen Künstler verlegten. Die Brüder Schuffenecker etwa und ein ehemaliger Erotiktänzer, Otto Wacker (wahrscheinlich gemeinsam mit Vater Hans und Bruder Leonhard), sprangen auf das Fälscherkarussell auf. Jahrelang konnten sie die Kunstexperten düpieren, worüber die Autoren viele Einzelheiten zu erzählen haben.
Der geniale niederländische Fälscher Han van Meegeren kam dagegen mit seinen „Vermeers“ zu einigem Ruhm. Auch er konnte zahlreiche Kunstkritiker täuschen und wehrte sich später gegen einen Kollaborationsvorwurf, weil er in den 1930er- und 1940er-Jahren selbst die Einkäufer von Hermann Göring hinters Licht führte. Diese zahlten ihm für einen „Vermeer“ 1,65 Mio. Gulden. Seine niederländischen Landsleute befanden nach dem Kriegsende, er sei ein Volksheld gewesen. – Mit Kunstfälschungen lässt sich trefflich Geld verdienen. Die Autoren präsentieren weitere Beispiele, nicht zuletzt das vom Coup des Konrad Kujau, der die perverse „Gier nach originalen NS-Artikeln“ ausnutzte (S. 32). Dessen vom Reporter Gerd Heidemann vermittelte Tagebücher von „Fritze Hitler“ bescherten der Nation das große Gelächter über Verlagsleitung wie Chefredaktion des „Stern“. Der Film „Schtonk“ hat diese Episode herrlich aufgespießt. – Auch diese Fälscher konnten davon profitieren, dass nicht immer alle „Experten“ seriös sind. Julius Meier-Graefe hatte im Prozess gegen Otto Wacker 1932 ausgesagt, „Expertisen hätten generell einen sehr geringen Wert. Die Sammler, die nach Expertisen kauften, seien selbst Schuld, wenn sie betrogen würden.“ (S. 37) Diese Art des Betruges könnte man auch Salvador Dalí unterstellen, als er Tausende von weißen Blättern signierte, die später bedruckt und als Originale verscherbelt wurden. Nicht nur Dalí und seine Frau Gala – beide vereint im Bemühen, schnell reich und berühmt zu werden – brauchten eine Menge Geld. 40.000 Bögen wurden 1974 an der Grenze zu Andorra vom Zoll konfisziert. Das waren nicht die einzigen Beschlagnahmungen. Dalí selbst hatte dazu zu bemerken: „Wenn es Leute gibt, die schlechte Reproduktionen meiner Werke herstellen und andere, die sie kaufen wollen, dann haben beide Seiten es nicht besser verdient.“ (S. 41)
Im zweiten Kapitel („Holy shit! Blasphemie im Kunsttempel“) beschreiben die Autoren zunächst die angebliche, aber rigide vorgetragene „Beleidigung“ religiös motivierter Zensoren am Beispiel des Karikaturenstreits. Dabei stellen sie fest, dass es sich oftmals um eher Mittelmäßiges handelt, dass erst durch eine „Skandalisierung“ – unverdient – aufgewertet wird. Gern schlagen Kritiker zu – etwa gegen Jesus- oder Marienverfremdungen –, die die betreffende Ausstellung gar nicht gesehen haben. An vielen Beispielen diskutieren Kittl und Saehrendt die Frage, wie frei die Kunst sein darf, wo ihre Grenzen liegen, wo evtl. Blasphemie vorliegt. Schwierig ist die Lage zurzeit im autoritären Klima Russlands, wo die orthodoxe Kirche an der Seite der Regierung damit begonnen hat, die Kunst zu reglementieren (S. 77) und die Deutungshoheit über Themen mit sakralen Inhalten für sich einzufordern. Dieses Thema wird im dritten Kapitel noch einmal aufgenommen und darauf hingewiesen, dass das Verhältnis von Künstlern zu ihrem Staat, wenn es sich etwa um den Nahen Osten handelt, von Zensur und Korruption geprägt sein kann. Selbstzensur und Einschüchterungen sind nicht selten (S. 105 f.). „In den orientalischen Gesellschaften hat die Kunst drei Tabus zu beachten: Politik, Religion, Sex.“ (S. 106)
„XXL-Kunst für Führer, Gott und Vaterland“, das dritte Kapitel, behandelt Monumentalkunst für Diktatoren und Ideologien. Als Protagonisten stellen Kittl und Saehrendt Angerer d.Ä. (Jahrgang 1938) vor, der mit seinen Riesenskulpturen so manche Kleinstadt im Süden des Landes beglücken wollte. Allerdings ist in Deutschland mit monströser Plastik kein Erfolg zu erringen; die Kaiserzeit, die Nazis und die DDR hatten dergleichen „zuhauf“ zu bieten, der Bedarf ist hierzulande daher als gedeckt anzusehen (S. 83). In der Sowjetunion jedoch war man aufgeschlossener. Der Bildhauer Zurab Konstantinovich Tsereteli konnte sich großer Aufmerksamkeit erfreuen.
Allerdings kaufen will man seine Riesenteile nun nicht mehr, so ist der Künstler dazu übergegangen, seine „Kunstwerke“ zu verschenken. Die Adressaten aber bedanken sich in der Regel. Stehen in Washington DC schon eine Reihe eindrucksvoller memorials, bis hin zum Roosevelt-Denkmal – mit Lieblingshund –, so war die Geduld erschöpft, als Lei Yixin seinen Martin Luther King aus Granit präsentierte. Der chinesische Künstler – Maogroßbüstenerfahren – hatte von der Kunstkommission der amerikanischen Hauptstadt den Auftrag erhalten, zu Ehren von King eine Statue zu entwerfen. Entsetzen und Empörung machte sich 2008 breit, als die sich als eher Lenin als dem ermordeten Bürgerrechtler gleichend erwies, „gehauen aus chinesischem Granit, der – so die Gegner – unter unwürdigen Umständen von unterbezahlten Minenarbeitern zu Tage gefördert werde“ (S. 87).
Den Gedanken des Staatskünstlers, der schon bei Tsereteli anklang, nehmen Kittl und Saehrendt beim Thema Jacques-Louis David auf. Dieser Opportunist diente den adligen Herren des Ancien Régime, mischte kräftig bei den Revolutionären mit (er wurde Präsident der Denkmalschutzkommission und unterzeichnete diverse Urteile gegen Künstlerkollegen, wie er auch für die Hinrichtung seines einstigen Gönners Louis XVI. stimmte), bis er endlich Napoleon verehren durfte. Leider musste er nach dessen Fall bis zum Tode im belgischen Exil ausharren. Frankreich hatte endgültig genug von ihm. – In Deutschland kam ein gewisser Arno Breker zu gewissem Ruhm, nicht zuletzt als Hitlers Lieblingsbildhauer. Brekers Monumentalskulpturen illustrierten den Größenwahn von Hitler, sehr zur Freude des hofierten und hoch bezahlten Künstlers mit einem direkten Telefondraht zum Führerhauptquartier. Wie es dem Nazifreund gelang, nach dem Krieg nur als „Mitläufer“ eingestuft zu werden? Breker fand, er sei vollkommen unpolitisch, und offenbar hat man ihm geglaubt. So konnte er bald verkünden: „Als der Krieg aus war, habe ich sofort Einladungen von Perón, Franco und Stalin erhalten.“ (S. 99) Breker hatte es aber nicht nötig, viel zu reisen. Illustre Mitglieder der Nachkriegsgesellschaft – darunter das Sammlerehepaar Ludwig, Bundeskanzler Adenauer, Bankier Abs sowie namhafte Unternehmer – „standen bei ihm Schlange“ (ebd.). Auf die kunsthistorische Rehabilitation musste Breker aber bis 2006 warten. In einem unbekannten Museum in Schwerin (mit sehr niedrigen Decken!) gönnte sich der scheidende Direktor eine Breker-Ausstellung. Sie wurde heftig kritisiert, doch der Bürgermeister freute sich über Kunsttouristen, die Geld in die Stadt brachten (S. 102).
Neben Breker geht es auch noch um die Flexibilität von Le Corbusier und den Ägypter Faruk Hosni (Mubarak-affiner Kulturminister, der mithilfe des französischen Staatspräsidenten Sarkozy Generalsekretär der UNESCO werden wollte), sodann um Turkmenbasy – Präsident Saparmurad Nijasow, „Vater aller Turkmenen“ – der in seine vielen, natürlich ihn selbst zeigenden vergoldeten Statuen von beträchtlicher Größe verliebt war. Ihm kam zugute, dass das Land über große Gasvorkommen verfügt – ihm, nicht aber der bettelarmen Bevölkerung. Turkmenbasys Privatkonten bei der Deutschen Bank waren bei seinem überraschenden Tod gut gefüllt (S. 108). Immerhin versuchte Turkmenbasy sich nur an der Literatur und hatte selbst keine künstlerischen Ambitionen. Er malte nicht wie Adolf Hitler, Wladimir Putin oder Hugo Chavez. Staatenlenker, die selbst wenig kunstfertig sind bzw. waren, versuchten eher, sich selbst zu inszenieren. So stiftete der Schah von Persien ein Kunstmuseum, kurz bevor er davongejagt wurde. Hastig mussten Werke her, um die leeren Wände zu füllen, aber nicht etwa von persischen Künstlern. So verdienten einige Londoner und New Yorker Kunsthändler gut damit, alles an westlicher Kunst zusammenzukaufen, was der Markt gerade hergab und der Schah bezahlte … Weitere Diktatoren werden erwähnt: „Kaiser Bokassa“ (S. 111 ff.) aus Zentralafrika, der Rumäne Nicolae Ceausescu, Iraks Saddam Hussein. Selbst Saif al-Islam, als Sohn von Gaddafi wahrscheinlich sein Nachfolger, sieht sich als Künstler (S. 144).
Das vierte Kapitel ist überschrieben mit „Saubere Kunst und schmutziger Sex“. Es befasst sich mit der Empörung des Publikums angesichts von nackten Tatsachen. Warum erregten Bilder von Lucian Freud, Gustave Courbet, Édouard Manet, Jeff Koons die Gemüter, wo doch schon seit Langem nackte Körper Gegenstand von Malerei und Skulpturen waren? Rubens hat ja seinerseits viele dicke Damen zu bieten gehabt. Bisher war Nacktheit allerdings in „mythologische Erzählungen oder biblische Themen“ (S. 131) eingebettet oder zeigte die von unserem Außenminister Westerwelle gegeißelte spätrömische Dekadenz. Das Neue und für die Betrachter Aufregende war die Darstellung von Alltagsszenen, die keine Geschichte mehr boten, sondern „nur“ noch nackte Leiber, manchmal auch von Frauen, die „man“ kannte! Im Falle von Manet war auch der Malstil – Manet war bekanntermaßen Impressionist – für das Publikum gewöhnungsbedürftig.
Einen ganzen Abschnitt („Talent zwischen Tand und Trödel“) widmen Kittl und Saehrendt dem Maler Hans Makart (1840–1884). Kaiser Franz Joseph holte den Salzburger nach Wien und stellte ihm ein Atelier zur Verfügung. Makart verstand es offenbar, ganz Wien in seinen Bann zu ziehen. „Die Gesellschaft der Gründerzeit liebte den wohltemperierten Skandal, der Anlass zur standesgemäßen Empörung und geröteten Gesichtern“ bot. Makart wusste, „dass es nicht genügte, das Publikum als virtuoser Sinnenschmeichler zu erfreuen.“ (S. 139 f.) Sein „Einzug Karls des V. in Antwerpen“ (1878) war zwar inspiriert von einem Bericht, den der Augenzeuge Albrecht Dürer 1520 verfasste, Makart aber veränderte die Szenerie so sehr, dass der junge Regent „auf einem vor Kraft strotzenden Ross wie ein geschäftstüchtiger Zuhälter [erscheint], der seine gazellengleichen Mädchen anbietet“ (S. 141). Diesen „Mädchen“, kaum verhüllt, verpasste Makart die „Gesichter stadtbekannter Schönheiten der feinen und der weniger feinen Gesellschaft Wiens“ (ebd.). Der Skandal war perfekt, der Künstler gemacht. Fast 40.000 Besucher des Wiener Künstlerhauses sahen das Bild, es wurde auf der Pariser Weltausstellung ausgezeichnet, innerhalb von zwei Jahren in Berlin, München, Dresden, London, Hannover und Basel gezeigt, bis es die Hamburger Kunsthalle 1881 kaufte. Dort befindet es sich noch heute. Friedrich Nietzsche urteilte über Makarts „prangenden Reichtum, der nicht erfreut, sondern übersättigt, und dessen Anblick uns traurig stimmt“ (S. 143). Der Wiener Maler starb früh und wurde bald vergessen.
Freizügigkeit war danach weniger skandalträchtig, doch das sollte sich bald ändern. Die Autoren führen Beispiele an von Werken von Suzanne Valadon (1865–1938), Constantin Brancusi (1876–1957), John Singer Sargent (dessen Bild „Madame X“ vielleicht den Gefährten des Malers darstellt und keine „Madame“), Francis Picabia, Carolee Schneemann, Georg Baselitz, Shigeko Kubota, die Wiener „Uni-Ferkelei“ (d. h. eine Aktion von Günter Brus und Otto Mühl [S. 152 ff.]), Robert Mapplethorpe (S. 155 f.), den Australier Bill Henson (Jahrgang 1955) u. a. Nach zahlreichen Prozessen sollte sich langsam die Erkenntnis durchsetzen, „dass ein Gericht nicht der Ort sein kann, an dem man über Kunst urteilt“ (S. 157).
Das fünfte Kapitel („Räuber, Diebe und Gesindel“) enthält allerlei über Kunstraub, echte und fingierte Diebstähle. In der Regel handele es sich keineswegs um solche Gentlemen, wie sie etwa in der „Thomas Crown Affäre“ präsentiert werden, sondern um Kriminelle ohne Sinn für die Kunst an sich, die manchmal mehr Schäden anrichten, als „nur“ ein Werk zu stehlen. Auch bei den Kunstdiebstählen führen Kittl und Saehrendt prominente Beispiele an, angefangen von der Mona Lisa (1911), als es noch einem Spaziergang glich, etwas aus dem Louvre mitzunehmen. Dies ist ein sehr spannendes Kapitel mit Ausführungen über bewaffnete Banden, Performance-Aktionen bis hin zur staatlich sanktionierten Beutekunst (S. 181–185). Begonnen hat dies Napoleon, der es zum System der Sieger machte und damit an Traditionen der Antike anknüpfte, nach denen dem Gegner wertvolle Schätze und Heiligtümer geraubt und diese dann öffentlich als Trophäe präsentiert wurden (S. 182).
Eine besondere Sache sind die Beutezüge der Nazis. Wollte Napoleon sich nicht selbst bereichern, so trugen die Deutschen beträchtliche Privatsammlungen zusammen (S. 185–195), nach der „Säuberung“ diverser Museen und Diebstähle von Privatpersonen (auch Enteignung jüdischen Kulturguts genannt) durch die Egomanie ihrer Protagonisten sowie Raubzüge im eigenen Land wie in den besetzten Gebieten. Besonders tat sich der „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ hervor sowie das SS-„Sonderkommando Künsberg“. Diese Räuberbanden wurden von zahlreichen Museumsdirektoren unterstützt. Und auch nach dem Krieg gab es noch ehemalige Nazigrößen, die den Kunsthandel mit Beutegut versorgten und die Bezahlung gern in bar entgegennahmen. Die Autoren führen Albert Speer an, der „jahrelang Arbeiten aus seiner Kunstsammlung, die ein Freund im mexikanischen Exil versteckt hatte, beim Kölner Auktionshaus Lempertz eingeliefert“ hatte, insgesamt mit einem Wert von knapp 1 Mio. Mark (S. 192).
Die vor zehn Jahren einsetzende Bewegung zur Feststellung der Provenienzen und Rückgabe von unrechtmäßigem Besitzm (3) hat inzwischen leider viele Akteure und Geschäftemacher auf den Plan gerufen. Offenbar haben die rechtmäßigen Erben der Vorbesitzer am wenigsten von der Restitution. „Anwälte, die in der Regel Erfolgshonorare von 50 Prozent des Streitwertes erhalten, machen die Erben beschlagnahmter Kunstwerke ausfindig und weisen sie auf ihre Ansprüche hin, um von ihnen ein Rückforderungsmandat zu bekommen. Die Erben müssen die zurückerhaltenen Werke verkaufen, allein schon, um die Anwaltshonorare bezahlen zu können.“ (S. 195) Die Autoren empfehlen den Museen, den Jägern nach „Nazi-Beutekunst“ durch eigene Recherchen zuvorzukommen. Außer der Klarheit über Besitzverhältnisse schaffe das auch Arbeitsplätze für Kunsthistoriker!
Nach dem Krieg lieferten sich Spezialeinheiten der Westalliierten und Stalins Trophäenbrigaden einen Wettlauf um die Kunstdepots im Deutschen Reich. Viele der geraubten Kulturgüter kamen in der Sowjetunion gar nicht erst an oder verrotten heute in unzulänglichen Depots. Wie die Nazigrößen langten auch Sowjets privat zu, vom einfachen Soldaten bis zum hohen Funktionär (S. 186–201). Wir haben in den AKMB-news mehrfach darüber berichtet, dass Russland sich bis heute weigert, die konfiszierten Kunstgegenstände herauszugeben. (4) Es handele sich um „unsere westeuropäische Sammlung“ (S. 200), so die verantwortlichen Museumsdirektoren.
Unter der Überschrift „Bilderstürme“ (das sechste Kapitel) referieren die Autoren Aktionen von den Taliban bis zum französischen Engagement gegen eine Sekte – die Bandbreite aktueller Vernichtung von Kunstgegenständen in staatlichem bzw. religiösem „Auftrag“ (S. 205–208). Sie schildern das Schicksal von Gustave Courbet, oberster Denkmalschützer der Pariser Commune, und gehen zurück bis zu Herostrat, dem „berühmtesten Bilderstürmer“. Der zerstörte 356 v. Chr. den Tempel der Artemis in Ephesos – nur seines eigenen Ruhmes wegen. Es folgen Berichte über Attentate auf Kunstwerke aus unterschiedlichen Motiven bis hin zur Cosa Nostra, die mit der Zerstörung von Kunstgütern den Terror gegen die gesamte Gesellschaft richtete – bisher hatten sie sich mit der Liquidierung prominenter Mafia-Jäger „zufrieden gegeben“. In diesem Zusammenhang fällt auch der Name Berlusconi, dem die Aktion letztlich zum politischen Amt verhalf (S. 224 f.).
Das siebte Kapitel, „Mord im Reich der Kunst“, enthält nun endlich die auf dem Klappentext versprochenen Kapitalverbrechen, zunächst am Beispiel einer tragisch ausgegangenen Performance zweier italienischer Künstlerinnen (S. 239–241), die für Pippa Bacca (1974–2008) tödlich endete. Dann folgt das Attentat von Valerie Solanas auf Andy Warhol (S. 241), ein bis heute unaufgeklärter Angriff auf den documenta-8-Künstler Rob Scholte (S.244–254) samt Spekulationen über die Hintergründe (War es etwa Scholte selbst?). – Szenenwechsel: „Lebensmüde, Tote oder Sterbende als Bestandteile einer Installation oder Performance muten dem Kunstfreund einiges zu.“ (S. 256). Wie wahr! Einige Künstler spielen hier mit dem Feuer, bzw. wollen den Gruselfaktor und damit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit deutlich erhöhen. An zwei Beispielen wird erläutert, dass Künstler im Wahnsinn zu Mördern wurden (Richard Dadd, S. 256–263 und Anthony Waterlow, S. 263 f.), und es werden allerlei Vermutungen darüber angestellt, ob „Jack the Ripper“ vielleicht der deutschstämmige Maler Walter Sickert gewesen sein kann.
Bizarr ist die Geschichte vom New Yorker Galeristen Andrew Crispo, der sich mit dem Großsammler und Erben Thyssen-Bornemisza anfreundete und mit dessen Geld seine sexuellen Ausschweifungen wie seinen immensen Kokainbedarf finanzierte. Crispo machte bei einer seiner Sado-Maso-Inszenierungen auch nicht vor Mord halt. Die Autoren liefern pikante Details der Vorfälle und werden an dieser Stelle selbst zu Voyeuren, die sich an der grausamen Szene delektieren. Der Galerist übrigens engagierte ausgebuffte Anwälte und konnte sich mit freundlicher Unterstützung der Staatsanwaltschaft und den richtigen Geschworenen der Strafe entziehen. Den Abschluss bildet ein Bericht über den Tod der kubanischen Künstlerin Ana Mendieta im Greenwich Village. Sie stürzte aus dem Fenster. Gesprungen oder gestoßen von ihrem Mann, dem Minimalkünstler Carl Andre? Schlampereien der Ermittler und weitere Ungereimtheiten führten zum Freispruch durch einen sehr liberalen Richter. – Ein Namensregister (endlich im 3. Band!) und Buchtipps (keine Literaturliste) zu den einzelnen Kapiteln beschließen das Buch.
Steen T. Kittl und Christian Saehrendt liefern einen Blick hinter die Kulissen der vordergründig kultivierten Fassade der Kunstwelt, engagiert und fundiert, süffig geschrieben und daher absolut empfehlenswert!

Angela Graf – (Gerd Bucerius Bibliothek im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

(1) „Das kann ich auch!“: Gebrauchsanweisung für moderne Kunst. – Erw. u. aktual. Neuaufl. [der 1. Ausg. von 2007]. – Köln: DuMont Buchverl. 2009. – 288 S.: Ill. – ISBN 978-3-8321-9258-7 *kt.: EUR 14,95 (s. die Besprechung in den AKMB-news 14 [2008], 1, S. 38 f.) und „Das sagt mir was“: Sprach- führer Deutsch – Kunst, Kunst – Deutsch. – Köln: DuMont Buchverl. 2008. – 248 S.: Ill. – ISBN 978-3- 8321-9094-1 *kt.: EUR 14,90 (s. die Besprechung in den AKMB-news 15 [2009], 2, S. 46 ff.).
(2) Die grossen Künstler und ihre Geheimnisse: inklusive all der skandalträchtigen Geschichten, die Ihnen Ihr Kunstlehrer immer verschwiegen hat / von Elizabeth Lunday. Mit Ill. von Marion Zucca. Aus dem Engl. von Stephan Pörtner. – Zürich: Walde + Graf, 2010. 303 S.: zahlr. Ill. ISBN 978-3-03774- 011-8 *kt.: EUR 19,95 (s. die Besprechung in dieser Ausgabe der AKMB-news).
(3) Die AKMB-news haben zum Thema Provenienzforschung und Restitution mehrere Schwerpunkthefte veröffentlicht, s. das Archiv unserer Zeitschrift unter http://www.akmb.de/web/html/news/news.html.
4. So z.B. die Rezension von Natalia Volkert über Kerstin Holm: Rubens in Sibirien. Beutekunst aus Deutschland in der russischen Provinz. Berlin 2008, in: AKMB-news 14 (2008), 2, S. 59–61.

AKMB-news 2/2010, Jahrgang 16, S. 66-70

https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/akmb-news/article/viewFile/9192/3050

PDF:
Angela Graf – Miese Tricks und böse Buben, AKMB-news 2/2010, Jahrgang 16, S. 66-70

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