Doris von Drateln – Biennale Venedig | Pavillon Niederlande: EIN GESPRÄCH MIT ROB SCHOLTE

Rob Scholte hat sich seinen Konkurrenten selbst in den Pavillon geholt. In wunderbaren Kitschfarben prangt der Maler von der Piazza San Marco von der noch nicht ganz trockenen Leinwand. Entscheidet über offizielle Kunst und Touristenkitsch tatsächlich nur der Preis, wie Rob Scholte behauptet?

Ist die Unterscheidung außer für den Kunsthändler eigentlich irrelevant? Vielleicht ist es tatsächlich wichtiger, sich zu fragen, wie wir mit Bildern umgehen, wie unsere Welt der Bilder funktioniert, wo Bilder aufhören und Welt anfängt? Rob Scholte denkt in anderen Kategorien, und auch deshalb ist seine Kunst teurer als die von seinem Konkurrenten.

D.v.D.: Ihr Pavillon ist einer der wenigen auf der Biennale, der einen zum Lachen bringt; was ist Ihnen am Humor, am Witz so wichtig?

R.B.: Mir liegt daran, meine eigene Position und die Meinung des Publikums zu relativieren; beides nehme ich nicht ernst, ich kenne meine eigenen Grenzen, ich lache über mich selbst, ich habe die gleichen Rechte wie ein Fremder, der meine Bilder anschaut, und ich spiele auch ein bißchen damit.

Abgesehen davon, interessiert mich Humor auch deshalb, weil es ein paradoxales Moment ist, das Moment, wo zwei Gegenstände einander aufheben, oder wo zwei Dinge einander gleichberechtigt gegenüberstehen im Wechselspiel. Die Wirkung von Humor interessiert mich sehr ernsthaft auf theoretischer Ebene, wie man nämlich Gegenstände in einem Paradox vereinigen kann.

Humor und gerade das Lachen ist ja auch ein transzendentales Moment, in dem Sinne, daß das Gemüt einen Sprung macht von einem Zustand in einen anderen.

Und genau im Dazwischen sind meine Bilder angesiedelt. Das ist auch in der Geschichte die Kunst, die mich interessiert – Magritte bis Dali, Man Ray, Duchamp, aber auch die Alten, da wird Bildwitz oft übersehen. Giotto etwa, was hat der für einen Humor gehabt, wenn er für den Neid seine wunderbare Allegorie gefunden hat, mit jener Schlange, die der Figur aus dem eigenen Mund wächst und ihr wieder in die Augen schaut. Der hat es verstanden, sein Publikum mitzureißen. Humor ist für mich einfach notwendig, weil es das beste Mittel ist, mit einem Bild einen Zustand zu schaffen.

Nehmen Sie Zitate in Ihrer Arbeit auch mit Humor? Welche Methode liegt dahinter?

Dahinter liegt zunächst mal ein riesiges Archiv von Reproduktionen, die ich, seit ich 16 Jahre alt geworden bin, zusammengetragen habe und weitersammele, das sich immer weiter ausbreitet. Ich teile das nach eigenen Kategorien ein, unter geschichtlichen Aspekten, unter formalen oder auch einfach nur nach Motiven, wie berühmte Frauen etwa. Dieses Archiv ist für mich wie ein großes Instrumentarium, mit dem ich spiele, ich bin da wie ein Kind und will es sein – ich spiele mit dem Material und vermische alles miteinander, verbinde Bedeutungen und versuche, Neues entstehen zu lassen.

Liegt darin auch eine gezielte Entweihung? Wenn Sie aus der Venus von Tizian, aus der Olympia von Manet schließlich eine Venus als liegende Gliederpuppe machen, neben der ein Mohr als Holztablettständer steht, dann spielen Sie mit mehr als mit einem Zitat, dann führen Sie das Motiv in einer Pinocchio-Version vor.

Dieses Bild ist vor allen Dingen eine Endlosschleife oder so etwas wie eine endlose Spiegelreflexion. Das Bild von der liegenden de Chirico-Puppe ist ein Zitat einer kleinen Skulptur, die ich im Londoner Mechanical Theater-Museum von Covent Garden photographiert habe. Das ist entdeckt worden von einem Journalisten, der einen riesigen Artikel darüber im Feuilleton einer holländischen Tageszeitung geschrieben hat. Er hat genau die Linie von Tizian über Manet bis zum Convent-Garden nachgezogen, mich eigentlich sehr gut verstanden. Man kann sich heute nach Dada nur gar nicht mehr vorstellen, daß man des Plagiats beschuldigt wird.

Und dann haben Sie von dem Artikel wieder ein Plagiat gemacht und mit Tizian, Manet, der Puppe aus Convent Garden zu einem großen Tafelbild zusammengemalt.

Der Clou kommt aber erst: Dieses Bild wurde in einer großen Ausstellung im Museum Boymanns-van-Beuningen gezeigt, und derselbe Journalist mußte wieder einen Artikel schreiben. Das ist es, was mich fasziniert; ich bin jedesmal begeistert, wenn ich mit der Reaktion auf meine Arbeit spielen kann. Die Macht der Medien ist extrem. Es gibt viel mehr Leute, die über meine Bilder lesen, als Leute, die meine Bilder tatsächlich sehen. Und die Meinung über meine Bilder wird fast ausschließlich geprägt durch dieses sekundäre Material.

Bleiben wir noch mal bei der Tradition – Sie haben ja bewußt mit dem Motiv der Venus das Thema auf die Bildfläche gebracht. Hat dann Tradition für Sie etwas mit Plagiat zu tun?

Zwangsläufig. Gerade hier in Venedig braucht man nur ein paar Schritte zu gehen und kann Tizian und Giorgione, die Freunde waren wie Picasso und Braque, vergleichen: Da hat Giorgione eine arkadische Landschaft gemalt mit der Venus darin, und dann hat Tizian das Motiv aufgegriffen und seine Venus von Urbino gemalt; so ist dieses Motiv ins Rollen gekommen. Ich denke, Einfluß, Tradition hat immer zu tun mit Plagiat, das ist immer ein Weiterarbeiten an einer existierenden Linie. Das ist wie in der Wissenschaft, wo Theorien nicht aus dem luftleeren Raum kommen; man kann Einstein nicht verstehen ohne seine Vorgänger. Und Bilder haben ihr Gedächtnis und ihre Geschichte. Man muß sich nur bewußt werden, in welchem Feld man arbeitet, und ich sehe mich eben in solchen Traditionslinien und will das auch zeigen.

Interessiert Sie an dem Zitat nun tatsächlich die Auseinandersetzung, ist das Zitieren für Sie eine Form von Dialog, oder ist es die Lust, mit Bekanntem zu spielen, es zu verfremden

Die Auseinandersetzung interessiert mich weniger. Es muß auch nicht unbedingt ein Gemälde sein, es kann irgendeine Vorlage sein. Alles kommt in der Reproduktion gleichwertig auf mich zu – ob nun ein Gemälde oder ein Photo in irgendeinem Magazin, alles lese ich als Abbild.

Was mich daran interessiert, ist, daß es nicht ursprünglich meins ist. Duchamp hat einmal gesagt „Je me force à me contredire“ – ich glaube, daß das notwendig ist, weil meine persönliche Sichtweise der Dinge so sehr geformt ist durch die Umstände, in denen ich lebe und aufgewachsen bin. Ich möchte aber gern eine Arbeit machen, die zwar aus mir hervorgeht, aber dann eine eigene Existenz hat und eine eigene Haltung erklärt, die Diskussion provoziert und einen Klärungsprozeß in Gang setzt.

All meine Vorlagen sind populäres, allzu bekanntes Bildgut, das ich als Material benutze.

Tatsächlich findet man haufenweise bekannte Motive, und der Wiedererkennungseffekt bringt einen eben oft zum Lachen, weil der Kontext witzig und scharfsinnig ist. In Italien fällt mir auf, daß Sie zwischen den alten Meistern und Weinlables, zwischen Touristenkitsch und Blechspielzeug nie ein Heiligenbild haben. Katharina Fritsch etwa hat sich nicht gescheut, eine Madonna als Serienobjekt in ihre Arbeit aufzunehmen. Fürchten Sie sich vor dieser Kategorie von populärem Bildschatz?

Ob ich keine Heiligenbilder habe? Seltsam. Stimmt. Habe ich nicht. Ein Loch in meiner Arbeit. Darüber habe ich noch nie nachgedacht, das hat mich auch noch nie jemand gefragt. Aber ich habe mit Religion auch nichts zu tun und noch weniger mit der italienischen oder spanischen Welt. Venedig mit seinem römisch-katholischen Geruch beeindruckt mich, ist mir aber völlig fremd.

Ich bin völlig unreligiös aufgewachsen, mein Vater hat McDonalds in Holland eingeführt. Ich habe zwar die Bibel und mystische Schriften gelesen, aber nur als Literatur. Das hat mich nie berührt. Mich interessiert natürlich so eine Position wie die von Jesus Christus, und die kann ich verbinden in gewisser Weise mit der von van Gogh und auf diesem Wege auch mit meiner eigenen Position. Aber sonst sind mir religiöse Themen fern. Mein Elternhaus war ganz amerikanisch mit Swimmingpool und automatischen Türöffnern, wie in dem Film „Moderne Zeiten“. Ich kenne die Nachteile der amerikanischen Kultur. Und ich muß wieder hineingehen in dieses System, wenn ich etwas ändern will.

Übrigens: Wenn ich Heiligenbilder malte, würde das zwangsläufig blasphemisch sein, und das hasse ich. Bei Knap ist das nicht blasphemisch, der glaubt ja, aber bei Dokoupil und bei Warhol ist es das. Ich habe Achtung vor anderen Weltsichten.

Teilweise arbeiten Sie mit Schriften. Sehen Sie Ihre Malerei im Kontext von Concept und solchen Erfahrungen wie Art & Language?

Ich bin mit Concept-art an der Akademie groß geworden. Also mit Lawrence Weiner und Ed Ruscha, die ich beide nicht besonders mochte, aber selbstverständlich ist das nicht spurlos an mir vorübergegangen.

Wenn ich Schriften benutze, dann ist das, als wenn ich ein Bild benutze, es ist für mich ein Zitat wie die anderen Zitate. Buchstaben sind Bilder. Und in Serie haben sie manchmal auch noch eine Bedeutung.

Wie der Satz „Art is to change, what you expect from it“, den Sie auf ein großes Tafelbild gesetzt haben.

Das ist ein Satz von Seth Siegelaub. Diese Aussage hat für mich zwei Bedeutungen. Change ist ja auch eine Wechselstube. Money makes the world go round. Die meisten Veränderungen, Moden, Trends dienen doch nur kommerziellen Interessen.

Tatsächlich arbeiten viele Künstler inzwischen so hektisch wie Jet-Set-Manager. Wie kommen Sie mit den Anforderungen und Verführungen des Marktes klar?

Ich sehe als Ausweg nur die gute alte Werkstatt wie bei Rubens oder Rembrandt. Viele Künstler entwerfen nur noch und lassen anfertigen, sehen manchmal die ausgeführte Arbeit zum ersten Mal in der eigenen Ausstellung. So zu arbeiten, kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich habe Mitarbeiter, Freunde. Das bringt auch mehr Spaß und schafft Freiheit, ich kann nicht dauernd ans Telephon gehen. Ich bin eine Firma geworden; anders könnte ich nicht überleben.

Wollen Sie so etwas wie eine Künstlerhandschrift vermeiden, wollen Sie Werte wie Originalität einreißen?

Die neuesten Rembrandt-Forschungen haben ja ergeben, daß nur ein kleiner Bestand der Bilder tatsächlich allein „von seiner Hand“ sind. Ich glaube, Originalität ist ein reines Preisbarometer. Mich interessiert Originalität mehr auf der Ebene der Idee. Ich glaube, eine wiedererkennbare Handschrift haben meine Arbeiten trotz aller Stilvariabilität. Die Stillosigkeit, wie sie auch mein Freund Georg Dokoupil pflegt, ist so etwas wie die Essenz meiner Arbeit. Für mich ist die Handschrift eines jeden Künstlers imitierbar, ich kann alle Stile benutzen und setze sie ein, wie ich sie brauche, Goya, Caravaggio, Matisse, je nach emotionaler Notwendigkeit.

Die verschiedenen Stile also wie Wörter einer Sprache, wie ein Vokabular.

Wenn ich Emotionen zeigen will, dann benutze ich lieber einen fremden Stil dafür und möchte nicht meiner eigenen emotionalen eingeschränkten Ausdrucksmöglichkeiten verhaftet bleiben.

Als würden Sie Orgelregister ziehen.

Ich sehe das tatsächlich sehr instrumentarisch. Ich bin nicht so interessant, viel interessanter ist die von mir selbst unabhängige Existenz, die Autonomie meiner Bilder.

Ist dieses Stilregister vergleichbar mit den Bemühungen der Surrealisten, die Ratio auszuschalten?

Aber nur in einer Weise. Mich interessiert die andere Seite der Surrealisten. Ich habe nichts zu tun mit écriture automatique. Mit Trance kann ich persönlich viel anfangen, aber für meine Arbeit kann ich das nicht brauchen. Mich interessiert die Ausschaltung der Ratio so, wie Magritte oder Duchamp sie sehr bewußt betrieben haben.

Ich frage das in einem grundsätzlicheren Sinn, nämlich, ob das Stilregister ein Trick ist, sich selbst zu entgehen.

Absolut. Ja, das will ich zugeben, das ist so. Ich habe sehr viel Schwierigkeiten mit mir selbst, ich kann nicht allein sein. Das ist ein Trick, aber ich brauche diese Techniken, um zu überleben. Die Bilder bestätigen eben auch meine Existenz, und zwar in dem Moment, wo sie selbst anfangen zu existieren. Wir können selbstverständlich über finanzielle Werte von Kunst reden, aber für mich sind meine Bilder wichtig, weil ich sonst überhaupt nicht glauben kann, daß ich existiere.

Existenz- und Realitätserfahrung beschäftigen mich in ihrer grundlegenden Problematik hautnah. Ich bin nie in Amerika gewesen; woher weiß ich eigentlich, daß es existiert? Nur aus den Medien, aus Erzählungen. Reicht das? Und wenn ich gestern da gewesen bin, woher weiß ich, daß es heute noch da ist?

Meine Bilder wissen da mehr. Die sind an Orten gewesen, wo ich noch nie mein Gesicht gezeigt habe. Je mehr die Bilder ihre eigene Existenz haben, desto mehr strahlen sie auf mein Leben zurück, daher ist es ab und zu notwendig, sich zurückzuziehen.

Nun ist die Konfrontation mit dem Fremden eine sehr traditionelle Möglichkeit der Identitätserfahrung.

Klar. Ich suche aber nicht das Exotisch-Fremde, sondern nur das nicht von mir gemachte. Ich benutze nur Chichés; Bilder und Gegenstände, denen jeder, jeden Tag begegnet.

Damit sind wir wieder in der Öffentlichkeit. Wenn Sie Bilder aus dem Allgemeingut der Gesellschaft benutzen, arbeiten Sie zumindest am Rande immer auch politisch.

Zumindest auf dieser ganz banalen Ebene, die sehr kompliziert werden kann: Wenn man etwas benutzt, was einem nicht gehört, kann man mit dem Copyright in Konflikt kommen. Copyright ist einfach ein grundsätzlicher Fakt in unserer Gesellschaft. Zum ersten Mal bin ich damit in Berührung gekommen, als ich mein Philips-Bild gemalt habe und der Konzern mich vor das Gericht schleppte, weil ich ihr Zeichen benutzt hatte. Für mich war die Firma und das Zeichen eher wie etwas, was meine Kindheit begleitet hat. Ich habe damit auch ganz etwas anderes gemacht. Denn ich habe einen Schattenwerfer gemalt, ich wollte wissen, ob man Nacht, ob man schwarzes Licht produzieren könne. Und an dieser Spinnerei entzündete sich der Skandal. Was ich und die meisten nicht wußten, war, daß es im Zweiten Weltkrieg tatsächlich, geheim, den Begriff gab, „das schwarze Licht von Philips“, weil die mit Häftlingen der deutschen Nationalsozialisten gearbeitet haben. Diesen Zusammenhang hatte ein Journalist herausgearbeitet, ich hatte davon überhaupt nichts gewußt. Das ist ein gutes Beispiel, daß meine Bilder nicht immer politisch angelegt sind, aber daß sie sehr schnell eine massive, konkrete politische Wirkung haben können. Ich male aber nicht politische Manifeste.

Und was ist das Bild „No Expo“? Damit haben Sie doch in Venedig das heiße Eisen angefaßt. Ist das kein politisches Manifest?

Nein, es hat nur eine politische Wirkung. Das Bild hat überhaupt keine Eigenschaft, es sind nur zwei Worttafeln, die hier und jetzt in Venedig funktionieren und eine Bedeutung gewinnen, die ich aber nicht gemalt habe. Klar hat das Bild eine Intention. Ich will einerseits auf die katastrophale Situation Venedigs hinweisen, das auch ohne Weltausstellung seiner Touristenbelagerung nicht Herr wird, das aber auch nicht wagt, einen Numerus clausus einzuführen, weil es sich vor der Elitenfrage drückt. Andererseits geht es aber generell um dieses Mißverhältnis: eine Minderheit, die von einer Masse belagert wird. Das ist auf der Biennale und überall auf dem Kunstmarkt dasselbe.

Ihre Bilder sind teilweise grauenvoll kitschig und noch dazu auch oft schlecht gemalt, wenn meistens auch akribisch genau. Haben Sie denn gar keine Angst vor Kitsch und Banalität?

Nein, überhaupt nicht. Weil in meinen Augen die Unterscheidung zwischen Kitsch und Kunst überhaupt nicht existiert. Es geht um Bilder, um Material. Was ist eigentlich der große Unterschied, außer der eines Elitepublikums, wenn man in Vergleich tritt zwischen Olivier Mosset im Schweizer Pavillon und dem Maler auf der Piazza San Marco? Da würde ich gern mal nachforschen. Weil ich denke, der Unterschied ist eigentlich ganz minimal, das Publikum ist anders, und die Preise sind anders.

Wenn Sie einen Gondoliere malen, sind die Preise auch anders.

Zum Glück, sonst könnte ich einpacken. Mein Aufwand ist auch höher. Und zumindest sind meine Bilder den Bildern auf der Piazza San Marco im Erfindungsreichtum nicht unterlegen wie viele andere Kunst, die noch wesentlich teurer ist. Für mich liegt der Unterschied zwischen Kitsch und hoher Kunst im wesentlichen in der finanziellen Transaktion. Ich wäre auch nicht beleidigt, wenn einer mich einteilt in Kitschkategorien. Die besten Gemälde sind die meist reproduzierten, oder nicht? Ist die Mona Lisa, ist Dali deshalb Kitsch?

Sie wissen natürlich, wie mich Ihre lawinenartige Verschiebung von Kriterien malerischer Qualität auf Rezeptionsmechanismen wie Elite- oder Massenpublikum, wie hohe oder niedrige, Preise, Angebot und Nachfrage, bis ins Mark schockiert. Aber anstatt aufzuheulen, will ich diese Frage hier nicht weiter klären, weil wir uns da wahrscheinlich sowieso nicht treffen. Lieber will ich wissen, wie Sie Ihre Rolle als Künstler verstehen.

Ich möchte eine Beobachtung voranstellen: Van Gogh hatte sich sein Leben lang bemüht, ein Bild zu verkaufen. Heute gibt es diese Position des verkannten Künstlers scheinbar nicht mehr. Ich denke aber, es gibt sie genauso, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Der Künstler heute hat eigentlich das gleiche Problem wie van Gogh, mit dem kleinen Unterschied, daß er heute aufpassen muß – überspitzt gesagt -, daß er kein Bild verkauft.

Nun zur Künstlerrolle: Ich meine, Künstler sein ist ein Prozeß der Reinigung. Koons spricht von Lust, von der Lust der Masse, und deshalb interessiert ihn auch Pornographie so sehr. Für mich ist das ein bißchen überholt, weil ich das früher schon gemacht habe.

Vielleicht sollte ich das so sagen, was mich interessiert: Die Illusion kann vielleicht ebenso Wert bekommen wie das wirklich Existierende, das ist auch die neue Richtung der Massenmedien. Man muß nicht reich sein, um reich zu sein, weil man sich jeden Abend vor dem Fernsehen in die Illusionsmaschinerie begeben kann. Das ist eine neue Gesellschaft, die sich hier entwickelt und die angefangen hat in Amerika. Vielleicht geht das eines Tages soweit, daß man Kriegshandlungen kaum noch durchzuführen braucht, daß es reicht, sie im TV zu zeigen.

Und wo ist der Künstler in dieser Illusionsmaschinerie?

Künstler sind insofern Teil dieses Illusionsspiels, als sie solche Mechanismen von innen entlarven können. Von den alten Illusionstricks wie Trompe l’oeil, über Spiegelungen, über Perspektiv-Verschiebungen, Austausch von Drinnen und Draußen, Oben und Unten, Vorne und Hinten wie bei Escher, bis zur Illusion mit technischen Lichteffekten oder phosphorisierten Farben und vielleicht auch noch bis zur Videoelektronik, interessiert mich das Spiel mit der Fiktion. In den großen Medienstrukturen, wo ein Präsident von Amerika eigentlich eine Lügen verbreitende Puppe sein könnte – wenn sie nur die Power der Medien hinter sich hat, würde sie Erfolg haben und viele Wählerstimmen -, kann der Künstler eine höchstpolitische Arbeit leisten: Er kann den Punkt zeigen, wo Illusion und Realität sich aufheben, vielleicht kann er die Grenze ziehen.

So ist das Spiel zwischen Realität und Illusion, zwischen keiner Eigenschaft und brennender Bedeutung Ihrer Bilder, bitterster Ernst? Was verstehen Sie unter dem Begriff „Spiel“? Sie haben Spielteppiche und -tapeten gemacht, in Ihrer Sprache kommt das Wort immer wieder vor. Haben Sie solche Ideale wie das Schillersche vom „spielenden Menschen“, der in Harmonie das Richtige tut, vor sich, oder verbinden Sie eher Unbekümmertheit oder Risiko damit?

Ich denke, glaube ich, radikaler. Es gibt kein Spiel in der Welt. Alles hat seine Notwendigkeiten, seine Folgen. Wenn man spielt, was Folgen hat, ist das Spiel doch aus. Ich sehe nichts Unbekümmertes im Spiel.

Und ich weiß auch nicht, wo Realität aufhört und Irrealität und Illusion anfangen. Vielleicht muß man diese Einteilung aufgeben. Aber das hat Konsequenzen, und die Konsequenzen haben Realität.

Ja, was ist Realität? Daß einer stirbt vielleicht.

Haben Sie deshalb den nur aus der Nähe wahrnehmbaren Totenkopf in das Auge gemalt?

Kann sein.

Vielleicht ist Realität, wenn man leidet?

Aber darüber kann man – wie Wittgenstein auch gesagt hat -, über das wirkliche Gefühl von Pein, kann man besser schweigen. Das ist nicht mitteilbar. Und das ist der wirkliche Grund meiner Arbeit. Wenn ich einen aufziehbaren Spielzeugclown male, der den „Schrei“ malt, dann handelt das Bild von Schmerzen eigentlich. Aber von Schmerzen, die nicht mehr Gefühl werden können.

In der aktuellen Kunst wird Schmerz, Tod zum gut verkäuflichen Imago. Wenn Mapplethorp Pein abbildet, dann sind das glasklare, harte Bilder, die zeigen, wie Schmerz funktioniert. Das ist eine mögliche Ebene. Besser ist es zu schweigen.

Munch malt einen Schrei, aber keiner hört das überhaupt, jeder guckt und sagt, ein schönes Bild. Das ist die Pein. Das ist der Punkt, wo das Gespräch über Realität und Illusion aufhört.

Rob Scholte, geb. 1958 in Amsterdam, lebt in Amsterdam und Brüssel.

Einzelausstelungen:
1984 Poolster, The Living Room, Amsterdam.
1985 Gal.’t Venster, Rotterdam.
1986 Mastercards, Gal. P. Maenz.
1987 Encyclopedie, The Living Room, Amsterdam; Gal. Leyendecker, Santa Cruz de Tenerife; Musée St. Pierre, Lyon.
1988 Portretten, Gal. P. Maenz; Kunstverein Kassel. Abjecten, Gal. Bébert, Rotterdam. How to Star, Museum Boymans-Van Beuningen, Rotterdam.
1989 Tartufo-Tartuffe, Gal. Leyendecker, Santa Cruz de Tenerife; Gal. Ch. Cartwright, Paris; Gal. Kaes-Weiss, Stuttgart; Kunstraum München.
1990 Biennale Venedig.

Gruppenaustellungen:
1984 Stufen der Anregung, Im Klapperhof, Köln.
1985 ARC, Toronto. Bienal XVIII, Sao Paulo. Wat Amsterdam betreft, Stedelijk Museum, Amsterdam.
1986 Centro de Arte y Communicacion, Buenos Aires.Youth works, The Living Room, Amsterdam. Chambres d’amis, Gent. Een keuze/Un choix, Kunstrai, Amsterdam. Au cour de Maelström/in de Maalstroom, Palais des Beaux Arts, Brüssel. Prospekt 86, Frankfurter Kunstverein.
1987 Contour, Museum Het Prinsenhof, Delft. Il Cingiante, Padiglione d’Arte Contemporanea, Milano. documenta 8, Kassel. Century 87, Amsterdam. 3 Voices, one room, Gal. Arnesen, Kopenhagen.
1988 Gal. A. Bonomo, Roma. Aperto, 18e Biennale, Venedig. A thick layer underfoot, Gal. Hufkens/Noirhomme, Brüssel. Europa oggi, Museo d’Arte Contemporanea, Prato. Nobody’s fools, De Appel, Amsterdam. Sculpture da Camera, Spoleto. Mnemosyne, oder das Theater der Erinnerung, Schloß Herrnsheim, Worms. Eh! bien prenons la plume, Arti et Amiciatiae, Amsterdam. Gran Pavese, MUHKA, Antwerpen.
1989 6 Dutch Artists, The Fruitmarket Gallery, Edinburgh. S. Hanson, New York. Open mind/Closed circuits, Museum van Hedendaagse Kunst, Genf. Kapriolen, Lothringerstr., München. Porkkana-Kokoelma Nykytaiteen Museum, Helsinki. Groeten uit Utrecht, Centraal Museum, Utrecht. Mit dem Fernrohr durch die Kunstgeschichte, Kunsthalle Basel. Psychological Abstraction, House of Cyprus, Athen. 2000 years – The presence of the Times past, Bonner Kunstverein. Haut Pays Bas, Halle Sud, Genf. The Vanguard, Touko Museum of Contemporain Art, Tokyo.
1990 Leche-Vitrines, Ars Musica, Brüssel. 1990 – Energieen, Stedelijk Museum, Amsterdam. Schräg, Rheinisches Landesmuseum, Bonn.

Veröffentlichungen im KUNSTFORUM:
documenta 8, Bd. 90, J. Raap, Ausstellung in der Gal. P. Maenz. F.-A. Hettig, Ausstellung im Museum Boymans-van-Beuningen, Rotterdam, Bd. 98, S. 299.

KUNSTFORUM International, Bd. 109, 1990, S. 317

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