Susanne Buckesfeld M.A. – Einführungsrede: Rob Scholte | Ins Blaue hinein

Was Bilder alles können, das zeigt uns Rob Scholte mit dieser Ausstellung, die einen kleinen Überblick über die Entwicklung seines Werkes bietet. Was Bilder können, wie Bilder leben und was sie mit uns machen – damit beschäftigt sich Rob Scholte schon seit den siebziger Jahren, von Beginn seiner künstlerischen Laufbahn an. In seiner frühen Leidenschaft für alle Bilder, für die Werke alter Meister ebenso wie für die Bilder aus Fernsehen, Werbung und Zeitung, nimmt er etwas vorweg, was seit gut zehn Jahren in den Geisteswissenschaften als „pictorial turn“, als Hinwendung zu den Bildern gefeiert wird. Diese Entwicklung setzt gegenwärtig auch die Kunstwissenschaft unter Druck, sich nicht nur mit den bildnerischen Erzeugnissen der Hochkultur zu befassen, sondern ohne Unterschied grundsätzlich alle Arten von Bildern zu untersuchen. Zwar gab es schon lange vor Scholte und auch zu seiner Zeit schon zahlreiche Künstler, die sich mit den Eigenarten der Bilder und mit der Bildwelt der Medien beschäftigt haben. Doch was die Bilder Begeisterung Rob Scholtes ausmacht, ist die Tatsache, dass der Künstler keinerlei qualitativen Unterschied macht zwischen den vielgelobten Werken der Kunstgeschichte, die von der Aura des Erhabenen umgeben wurden, und den massenhaft produzierten und allgegenwärtigen Bildern der Populär Kultur. Ohnehin gibt es zwischen beiden Sphären Überschneidungen, seit die Mittel der technischen Reproduzierbarkeit ständig verbessert werden – man denke nur an die unzähligen Kunstkalender, Kunstpostkarten und Poster, die das Bild anerkannter Meisterwerke allgegenwärtig machen und in unser kollektives Gedächtnis einspeisen. Somit geht es im Werk Rob Scholtes auch immer darum, was wir aus den Bildern machen, welche Funktion wir ihnen verleihen und auf welche Weise wir die Bilder sehen.
Schon im Alter von 16 Jahren hat Rob Scholte begonnen, ein Bildarchiv anzulegen, das wiederholt mit dem berühmten „Atlas“ Gerhard Richters verglichen worden ist. Doch während sich in Richters Atlas rückblickend thematische Schwerpunkte ausmachen lassen, nämlich biographische und populär kulturelle Bilder vor der Folie der Geschichte des Nationalsozialismus zu lesen, reicht die Sammelleidenschaft Rob Scholtes viel weiter. Sein Interesse scheint all dem zu gelten, was in der Gegenwart bildhaften Status annimmt, was zum Bildträger werden kann, welche Dinge das Potential besitzen, Bilder zu generieren, und welche Bilder das Fortleben uralter Bildvorlagen bis heute wieder spiegelt. Für seine Kunst schöpft Scholte aus diesem riesigen Bilderarchiv, um die ganze Vielfalt der Bilder aufzuzeigen und die Macht, die sie auf uns ausüben. All diese Aspekte werden in unserer aktuellen Ausstellung sichtbar. Ich möchte daher im folgenden diese Gesichtspunkte in chronologischer Reihenfolge an den hier ausgestellten Werke Rob Scholtes besprechen. Von der wilden Phase des Künstlers zeugen die Gouachen „Schädel Maler“, „Blumen Maler“ und „Raketen Maler“ von 1978, die hier im Kabinett hängen und zu einer Zeit entstanden sind, als Scholte noch bis zu zehn Gemälde am Tag produzierte. Mit schnellem Pinselduktus und unschön wirkenden farblichen Kontrasten bearbeitet Scholte das Thema des Künstlers und seines Bildgegenstandes. Den kunsthistorisch aufgeladenen Motiven des Schädels und der Blumen, deren Platz in der Geschichte der niederländischen Kunst des Goldenen Zeitalters unbestritten ist, setzt er den zeitgenössischen Raketenmaler entgegen, dessen gelb leuchtender Bleistift ihn mehr als einen Ingenieur, einen Techniker ausweist als das der Realität enthobene Genie eines Künstlers. Und so gleicht der Künstler für Scholte bis heute eher einem jener mehr oder weniger geschäftstüchtigen Handwerker, die in den Niederlanden des 16. und 17. Jahrhunderts Teil eines hoch differenzierten und spezialisierten, arbeitsteiligen Kunstmarkt waren.
Dass Rob Scholte sein Handwerk trotz aller dilettantischen Attitüde tatsächlich meisterhaft beherrscht, lässt er zu dieser Zeit noch nicht offen sichtbar werden. Denn Anfang der achtziger Jahre unterläuft Scholte weiterhin bewusst den „elitären Gestus abstrakten Malens“ (Karin Thomas) mit Acryl Gemälden wie „Menselijk bedrijf“ – das menschliche Gewerbe, der menschliche Betrieb – von 1980, sowie mit den Arbeiten „Sailor“, „Door“, oder „Hands“, die links im Eingangsbereich hängen und zwei Jahre später entstanden sind. Auch in diesen Gemälden schöpft er aus trivialen Bildquellen mit bewusst kruder, teils kindlicher Malweise, wodurch einem psychisch-emotional zu verstehenden Duktus Hohn gelacht wird. Scholte bezieht sich dabei ebenfalls auf kunstimmanente Themen wie etwa den aus sich selbst schöpfenden Künstler, der als Seemann die eigenen Segel aufbläst oder die riesigen, schaffenden Hände, traditionell das Bindeglied zwischen künstlerischem Geist und Leinwand. Ihren Witz beziehen die Gemälde nicht nur aus dem geradezu rotzigen Umgang mit Motiv und Farbe, sondern vor allem auch durch die Hinzufügung aufwändiger, ja nachgerade konservativer Holzrahmen, die das im Bild gesagte nochmals in sein Gegenteil zu wenden scheinen. Hier wird die zum Fetisch erhobene Kunst zugleich unterlaufen und erfüllt, indem die Rahmen die Banalität der Motive wiederum nobilitieren. Überhaupt nehmen die Rahmen erkennbar eine wichtige Rolle im Werk Scholtes ein. Bei einem der „Menselijk bedrijf“ verstärkt der Rahmen deutlich eine der wesentlichen Funktionen der Bilder, nämlich etwas zu zeigen: mit seiner pfeilartigen Form verweist der Rahmen wie ein Bild selbst auf etwas – in diesem Fall auf ein anderes Bild: das „Artlantis“ aus dem Jahr 2000, dem unbekannten Land der Kunst, wo Pinselstriche, Gekritzel, Notizen und Schablonen ein rätselhaftes Bild ergeben.
Der Rahmen ist aber noch in einer anderen Hinsicht außerordentlich wichtig für Rob Scholte: er markiert die Art und Weise, wie wir Bilder ansehen, ob wir sie als Kunst identifizieren oder sie mit unachtsamen Blicken bedenken wie die allgegenwärtigen Bilder des Medienzeitalters, in dem wir uns befinden. Besonders deutlich wird dies bei den Unfall-Gemälden von 1978, die an die traditionelle Grisaille-Technik, also Graumalerei, erinnern. Hier hat Scholte Fotos aus Tageszeitungen oder der Werbung für Unfallversicherungen kopiert und kurzerhand in einen anderen Kontext gesetzt. Die realistische Darstellung lässt die fotografischen Vorlagen zwar ohne Zweifel erkennen. Doch fokussiert Scholte in der Darstellung auf die tragischen Momente der Szenerie, während die Umgebung unscharf im Grauen versinkt. Auch hier ist der Rahmen von zentraler Bedeutung, dessen edles Schwarz mit dem feinen Silberstreifen die Gemälde wie mit dem schwarzen Balken einer Todesanzeige umgibt. Während das Schwarz-weiß der Grisaille-Technik also die Emotionalität der Bilder einerseits sublimiert, rückt Scholte andererseits gerade das ins Zentrum, wodurch solche Bilder ihre tragische Wirkung auf uns entfalten: das Entsetzen der Überlebenden, der Grad der Zerstörung und das Verschwinden der Opfer in bereitstehenden Krankenwagen.
Rob Scholte – Silk cut

Rob Scholte – Silk cut

Nicht mit der Wirkkraft dokumentarisch anmutender Werbebilder, sondern mit den vielfältigen Bezügen kunsthistorischer und populärer Bildvorlagen beschäftigt sich Rob Scholte äußerst geistreich in seiner Serie „Silk Cut“ von 2003. Mit diesem Titel einer Zigarettenmarke mit niedrigen Teerwerten verweist Scholte einerseits auf eine berühmte Werbekampagne von Saatchi & Saatchi – ein Name, der heute in der Kunstwelt bekannt ist –, in der eine Schere durch Seide schnitt, wobei Lila und Weiß die vorherrschenden Farben waren. Die sinnlichen Assoziationen des Materials greift Scholte erkennbar in seiner realistischen Malerei auf, so dass man beinahe versucht ist, über die vermeintlich kühle Oberfläche der weichen Seide zu streichen. Die zentral im Bild platzierten Schnitte spielen ebenfalls deutlich mit erotischen Konnotationen. Zugleich aber persifliert Scholte hier auf äußerst gewitzte Weise die berühmten Schnitte Lucio Fontanas, der mit seinen zerschnittenen Leinwänden den Blick hinter die Oberfläche des Bildes richtete und den flachen Bildträger in die Dreidimensionalität erweiterte. Genau das, was Fontana aber tatsächlich getan hat, nämlich die Illusion eines räumlichen Bildes zu zerstören, zitiert Scholte hier als optische Täuschung: die Schnitte in den „Silk Cuts“ sind lediglich gemalt, die Leinwand bleibt unberührt, man könnte auch sagen: jungfräulich, und wir als Betrachter sitzen entweder der Illusion auf oder verfolgen das intelligente Spiel der Bezüge. „Wir sind gar keine Schnitte“, scheinen die Bilder uns frei nach René Magritte grinsend zuzurufen – ganz so wie die Ordner, die über der Heizung im Eingang aufgehängt sind, nur das Bild von den Rückseiten einiger Aktenordner sind, nicht aber die Ordner selbst.
Diese grundsätzliche Unterscheidung zwischen Bild und Realität interessiert Rob Scholte immer wieder auf ganz unterschiedliche Weise. Auch in der Reihe „Bergense School“ von 2005 geht es um diese Differenzierung, die Scholte gleichfalls auf verschiedenen Ebenen der Bildbetrachtung festmacht. Auch hier sind wir konfrontiert mit der beinahe fotorealistischen Darstellung von Straßenecken des so überaus beschaulichen Bergen-Binnen. Wer schon einmal da war, weiß, wie gemütlich und friedlich dieses Städtchen im Norden der Niederlande anmutet. Doch sollte der pittoreske Anschein nicht darüber hinwegtäuschen, was sich hinter der Oberfläche abspielen kann. Die Straßenschilder, die Scholte uns in seinen Gemälden zeigt, weisen allesamt die Namen von Künstlern der Bergense School auf, einer Gruppe expressionistisch arbeitender Künstler aus Bergen, die sich 1915 zusammen geschlossen hatten, um gegen die Vormacht des Impressionismus anzutreten. Was wenig bekannt ist, ist die Tatsache, dass die Straßen Bergens nur nach den vermeintlich rein niederländischen Künstlern benannt sind, die jüdischen Mitglieder der Gruppe wurden bei der Vergabe der Straßennamen jedoch ausgespart. Wie ein solch verdeckter Antisemitismus doch noch augenfällig werden kann, das können die Bilder Rob Scholtes offen legen, sofern der Hintergrund der Geschichte bekannt ist. So reflektiert Scholte mit seiner Reihe „Bergense School“ nicht nur über die illusionistische Kraft von gemalten Bildern und von solchen, die in der Realität selbst konstruiert werden, sondern auch über die Glaubwürdigkeit, die wir Bildern bis heute zutrauen, trotz aller digitalen Manipulationen.
Wie bislang sichtbar geworden ist, kann als das hervorstechendste Merkmal der Kunst Rob Scholtes gelten, keine eindeutig erkennbare Handschrift zu pflegen, sondern die Stilmittel aus der Kunstgeschichte variabel nach seinen Zwecken zu nutzen. Das Kriterium der Originalität, das noch immer unter einem Großteil des Publikums als wirkmächtigste Kategorie der Kunstbetrachtung gilt, interessiert Scholte daher kaum als individueller Ausdruck der schaffenden Künstlerhand. Originalität besteht für ihn vielmehr hinsichtlich der Bildideen, die er für seine Kunst entwickelt. Besonders sichtbar wird dieser Ideenreichtum etwa in den Totem-Pfählen von 2008 , die hier in der Mitte des Galerieraums prangen als unendlich fort setzbare Reihen aus handbemalten, sorgfältig ausgesuchten Blumentöpfen. Ein Gemütlichkeit verheißender Gebrauchsgegenstand wird hier kurzerhand zur Kunst deklariert, so dass Form, Material und Design in diesem Kontext humorvoll und anspielungsreich mit einer Ästhetik der Moderne brechen, wie sie etwa Brancusi mit seinen endlosen Säulen geschaffen hat. Ein ähnlich vielfältiges Netz der Bezüge knüpft Scholte mit seinen Siebdrücken der Serie „Marieken von Nimweghen“ von 2005, die auf dem glitzernden Papier wirken, als könnten sie auf einem Kirmes Stand erworben werden, doch reproduzieren sie tatsächlich mittelalterliche Bildvorlagen der Stadtgeschichte.
Dementsprechend sind für Rob Scholte die Unterschiede zwischen Kunst und Kitsch, zwischen Malerei und Reproduktion absolut hinfällig. So kommt er am Ende zu dem selben Schluss wie einige Vertreter der aktuellen Bildwissenschaften, die ich zu Beginn schon erwähnt hatte. Einigen ihrer Vertreter zufolge liegen die Bildqualität und das Urteil des Betrachters nicht in einem gegebenen Bild und seinen Eigenschaften, sondern die Bilderfahrung ist eingebettet in das soziale Milieu des Betrachters, das die jeweilige Rezeption des Bildes bestimmt. Als Kunsthistorikerin kann ich da natürlich nur widersprechen. Meines Erachtens liegt die Qualität der Bilder Rob Scholtes nicht nur darin, dass er die Mechanismen des Kunstkontextes brillant im Bild persiflieren kann, sondern dass er dies auch noch technisch einwandfrei bewerkstelligt.

Galerie Epikur, Wuppertal, 24. Oktober 2008

http://www.galerie-epikur.de/455.html

http://www.galerie-epikur.de/fileadmin/templates/bilder/ausstellungen/2008/scholte/Ero%CC%88ffnungsrede.pdf

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Susanne Buckesfeld M.A. – Einführungsrede Ins Blaue hinein von Rob Scholte