Jürgen Raap – Der Hang zum Skurrilen

Marcel Broodthaers – Musée d’Art Moderne, Section XIX Siècle, Departement des Aigles

Marcel Broodthaers - Musée D'art Moderne, Les Aigles, Section XIXe Siecle

Marcel Broodthaers – Musée D’art Moderne, Les Aigles, Section XIXe Siècle

Marcel Broodthaers - Section Financiere Musée d'Art Moderne a vendre 1970 - 1971 pour cause de faillité Departement des Aigles

Marcel Broodthaers – Section Financiere, Musée d’Art Moderne a vendre 1970 1971 pour cause de faillité, Departement des Aigles

Marcel Broodthaers - Musée d'Art Moderne, Dt. des Aigles, Service Publicité

Marcel Broodthaers – Musée d’Art Moderne, Dt. des Aigles, Service Publicité

Der Brüsseler Galerist Etienne Tillman sieht in der kunstgeschichtlichen Linie Rops  – Ensor  – Magritte  – Broodthaers bis hin zu Jacques Charlier, der auch oft Mittel der Karikatur einsetzt, den gemeinsamen Nenner in einer „zurückhaltenden Einstellung, einer belgischen Schüchternheit“. In der Distanz zur eigenen Arbeit bzw. zu deren inhaltlichen Ansprüchen hätten alle diese Künstler eine Art und Weise entwickelt, „sich zwar nicht direkt über sich selbst lustig zu machen, aber verstehen zu geben, daß man sich selbst doch nicht allzu ernst nimmt“. Daraus ergäbe sich eine „verfängliche, fast hinterhältige“ Vorgehensweise, Menschen und Kunst einander anzunähern. Was auf der Vermittlerebene nicht immer gelingt, denn Rops mußte sich zu Lebzeiten mehrfach wegen seiner Symbiose von Humor und praller Erotik von der Kunstkritik anfeinden lassen.

Tillman organisierte parallel zur Aufführung des Theaterstücks „L’Apparition“ (Die Erscheinung) eine Ausstellung, die „zeigen sollte, daß vieles, was man sieht, möglicherweise nicht die Realität ist, weil die Wirklichkeit sich dem Auge nicht immer auf die gleiche Art offenbart“. Ein Bild hatte einen völlig schwarzen Grund, auf dem in anderem Schwarzton in kleinen Buchstaben das Wort „weiß“ geschrieben war, erst aus kürzester Distanz lesbar. Ein Museumsführer forderte das verblüffte Publikum auf: „Treten Sie näher, und Sie werden weiß sehen.“ Tillman räumt ein, daß bei vielen dieser Exponate der Humor nicht im Werk selbst erhalten war bzw. ist, sondern erst durch eine spezielle Präsentationsform vermittelt wird. In anderen Arbeiten, etwa in jenen des Malers Clerbois mit christlichen Motiven, liegt der Witz in der Verfälschung jener Vorstellungen, die wir von der Realität oder von den Begriffen haben, d.h. jener Vorstellungen, die uns anerzogen oder uns überliefert worden sind, wenn bei der Jungfrau Maria z.B. der traditionelle Heiligenschein durch ein modernes Blinklicht ersetzt wird.

Das Publikum, so hat Tillman beobachtet, amüsiert sich zwar über solche Arbeiten, fragt aber dann irritiert: „Ist das alles ?“ Oder es flüchtet sich in eine Abwehrhaltung, weil es sich zu Unrecht veralbert fühlt.

Solcherlei Irritationen werden durch ein verändertes Selbstverständnis der Künstler ausgelöst. Klaus Honnef hat dies anläßlich des Projekts „Schräg“ (Rheinisches Landesmuseum, Bonn|Rijkdienst Beeldende Kunst, Den Haag 1990) bei der jüngeren Künstlergeneration aus dem niederländischen Nachbarland festgemacht: „Der Künstler nicht mehr in der Rolle des blinden Sehers oder vermeintlichen Propheten, sondern, wenn nicht ausschließlich, eines ‚Spaßvogels‘, der die gesellschaftlich weitestgehend sanktionierten Rollenverständnisse der Künstler (…) dem Spott preisgibt (…)“ Es gewänne „eine Haltung künstlerisches Profil, die sich nicht so einfach vereinnahmen läßt, weil sie mit den Mitteln der Travestie, der Parodie, des Witzes und des Humors operiert. Diese Haltung verrät sich in subtiler Unterwanderung und fortgesetzter Irritation“. (3) Da müssen einfach „herkömmliche ästhetische Kategorien und Kriterien ins Wanken“ geraten, wenn z.B. Ger van Elk oder der Medienkünstler Wim T. Schippers beim „Jonglieren zwischen Erhabenem und Farce“ bewußt die Frage offenlassen, ob sie sich nun als ernsthafte Künstler oder populäre Entertainer verstehen. (4) Ger van Elk konnte die Erfahrung machen, daß deutsches Kunstpublikum, auch versierte Kritiker, auf seine ironischen Neu Interpretationen alter Meister anders, und zwar oft ablehnender, zu reagieren pflegt als niederländisches, selbst wenn er gegen Königin Beatrix stichelt. Paul Donker Duyvis versucht dies mit der traditionellen niederländischen Liberalität zu erklären, die der Monarchie zum Trotz auf republikanischer Gesinnung fuße und weitaus weniger Chauvinismus hervorgebracht habe als die Franzosen, Deutschen und Italiener. (5)

Mit spielerischer Leichtigkeit arrangiert auch Rob Scholte die Ikonologie seiner Bilder in einer publikumsbezogenen Strategie: wenn er mit Zitaten aus den Stilismen des Surrealismus und der Pop art hantiert, M.C. Eschers perspektivische Verzerrungen aufgreift oder sich des Cartoons bedient und manchmal auch ohne größere Verfremdung einfach nur Vorhandenes kopiert, liebäugelt er damit, daß sich im Moment des Wiedererkennens beim Betrachter der „Aha“ Effekt – und damit der Lacher – einstellt. Und ähnlich wie 20 Jahre zuvor Broodthaers kam auch Scholte in seinen Arbeiten aus der jüngsten Zeit nicht umhin, den persönlichen Erfolg auf dem Kunstmarkt selbst ironisch zu reflektieren und zu kommentieren. Denn nur so kann der Witz auch in künftigen Bildern eine Glaubwürdigkeit garantieren, wo er nicht nur bloßer Gag, sondern auch Kritik und gesellschaftsbezogene Attacke sein will. Man mag darüber spekulieren, inwieweit der moralistische Grundzug, der diesem Bild Witz eigen ist, einer calvinistischen Tradition entspringt. In den Arbeiten von Teun Hocks ist mitunter eine spezifische Weltsicht spürbar, die aus einer Perspektive vermittelt wird, der sich auch die Clowneske bedient. Allerdings ist bei Hocks nicht unbedingt die (existentielle) Verzweiflung Ausgangspunkt des Bildgeschehens, jedoch ein erheblicher Zweifel an den Normen und Werten des Sichtbaren und der gesellschaftlichen Realität. Witz zeigt sich hier als eine Interpretationsleistung.

ANMERKUNGEN
(1) Yves Klein, „Le dépassement de la problematique de l’art“, edition daily bul, 1958
(2) Pol Bury, „Guide des Musées de l’art inopiné“, edition daily bul, La Louvière (Belgien), 1988 und ders., „L’art inopiné dans les collections publiques“, edition daily bul, La Louvière, 1982
(3) „Schräg“, hrsg. von Paul Donker Duyvis, Klaus Honnef, Edition Braus, Bonn 1990, S. 12
(4) Ebenda, S. 11
(5) Ebenda, S. 17

KUNSTFORUM International, Bd. 121, Kunst und Humor II, 1993

https://www.kunstforum.de/artikel/der-hang-zum-skurrilen/

Meer informatie
https://robscholtemuseum.nl/?s=Marcel+Broodthaers
https://robscholtemuseum.nl/jurgen-raap-kunst-und-komik/
https://robscholtemuseum.nl/jurgen-raap-bejahung-des-diesseits/