Dirk Schwarze – Von Mythen und Zerstörungen

1987 – Anselm Kiefer: Osiris + Isis

Nach dem Triumph der Malerei in der von Rudi Fuchs organisierten documenta 7 waren 1987 die gemalten Bilder nur schwach vertreten. Immerhin erhielt Gerhard Richter ein eigenes Kabinett, in dem er die Parallelität seiner malerischen Ansätze vorführen konnte. Ein anderer wichtiger Maler, der in seinen Bildern über das Medium nachdachte, mit dem er sich beschäftigte, war der Holländer Rob Scholte.

Zu einem der bedeutendsten Maler der Gegenwart war damals Anselm Kiefer (Jahrgang 1945) aufgestiegen, um den es nach seinem Gastspiel im deutschen Biennale-Pavillon in Venedig im Jahre 1980 heftige Kontroversen gegeben hatte. Anselm Kiefers Malerei war von einigen nicht verstanden worden, bei anderen hatte man das Gefühl, man habe ihn missverstehen wollen. Seine groben Materialbilder waren ebenso auf Widerstand gestoßen wie sein Eintauchen in die Mythen der Geschichte und Auseinandersetzung mit dem Deutschtum. Rudi Fuchs hatte den Bildern von Kiefer 1982 einen ehrenvollen Raum gegeben. Fünf Jahre später erhielt der Maler die Möglichkeit, mit seinem großformatigen Bild „Osiris + Isis“ eine Arbeit zu präsentieren, die wie ein Bühnenbild wirkte.

Auch Kiefer ist ein Künstler, der malend über die Malerei nachdenkt. In früheren Jahren tauchte oft die Palette als Werkzeug und Symbol des Malers auf. In seinen großen Kompositionen erweitert er das flächig angelegte Bild zum Relief, zur Materialcollage. Wenn er von Brüchen und Untergängen erzählt, dann fügt er auch Scherben hinzu, um an die zerbrochene Welt mit ihren Trümmern zu erinnern. Kunstvoll verknüpft er die technischen Ebenen und die Zeiten.

Das Bild „Osiris + Isis“ ist zwei altägyptischen Gottheiten gewidmet. Zentrales Motiv ist ein gewaltiger, stufenförmig angelegter Bau, der an eine Pyramide erinnert. Allerdings fehlen die Spitze und die Vollendung. Dort, wo die Spitze ansetzen könnte, schwebt eine Computerschalttafel, die Isis symbolisiert. Denn die Schalttafel übernimmt die Rolle der Haube mit den Herrscherinsignien, die auf den historischen Darstellungen Isis krönt. Von dieser Schalttafel aus führen Kupferdrähte quer über das Bild zu den Keramikscherben. So sind die Scherben nicht nur Überreste einer Zerstörung, sondern auch Isolatoren für übertragene Energien. Das Gemälde gewinnt durch die Malerei und die Hinzufügungen an Schwere und Dramatik im Sinne der Wagnerschen Musik.

Isis, Schwester und Gemahlin von Osiris, wirkt über die Zerstörung und den Verfall hinaus. In der Geschichte verschmilzt sie, die oft mit ihrem Sohn Horus auf dem Schoß gezeigt wurde, mit der christlichen Figur der Maria, die Jesus in den Armen hält. Das heißt: Die Mythen überdauern die Zeitläufte mit Brüchen und Untergängen.

„Bruch und Einung“ nennt Kiefer im Untertitel sein Gemälde. Die Ein(ig)ung vollzieht sich auf der Materialebene des Bildes, in den collageartig eingefügten Drähten und Scherben. Damit stellt Kiefer auch wieder die Malerei zur Diskussion: Die aus Emulsions- und Acrylfarben sowie Tonschlamm aufgebaute Komposition wird zur neutralen Kulisse. Die eigentliche Aktion spielt sich auf der Ebene der Materialien ab. Klingt darin doch ein Abgesang auf die Malerei an? Oder beginnt Kiefer hier schon seinen Weg, der ihn jenseits der Malerei auch zur Anfertigung von Objekten und Skulpturen führt?

Anselm Kiefer verweigert einfache Antworten. Aber wenn man Gemälde wie dieses betrachtet, dann wird klar, wie stark und zukunftsträchtig eine Malerei ist, die sich von innen her aufbaut, die sich auch dann noch behauptet, wenn sie sich selbst zu überwinden scheint, und die ihre Botschaft aus sich selbst heraus formuliert.

Aus: Meilensteine – documenta 1-12

Dirk Schwarze, … documenta … Künstler … Ausstellungen …, 23.2.2009

http://dirkschwarze.net/2009/02/23/von-mythen-und-zerstorungen-2/

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